Die Frau am Tor (German Edition)
Nacht in einer Zelle, die sich als karge, aber ordentliche und saubere Räumlichkeit erwies. Das war zu ertragen. Er hatte schon weit unangenehmere Nächte unter wesentlich schlimmeren Bedingungen zubringen müssen.
Am nächsten Morgen durfte er gehen.
Der große Mann gab ihm die Hand, überreichte ihm seine Karte – Erich Schmidbauer, Kriminalhauptkommissar – und bat ihn, sich zu melden, sofern ihm noch irgendetwas Wichtiges einfalle. Es gab zwar eine Vorführung beim Haftrichter, aber da es sich bei dem in Frage kommenden Delikt – Strafvereitelung – um keinen besonders schwerwiegenden Gesetzesverstoß handelte und von Flucht- oder Verdunkelungsgefahr angesichts seines umfangreichen Geständnisses und somit erheblichen Beitrags zur Aufklärung ohnehin keine Rede sein konnte, blieb dies lediglich eine Formalie. Ein Haftbefehl wurde von der Ermittlungsbehörde gar nicht erst beantragt.
Was Eva Uhlenbrock anbetraf, so behielt man sich ein Ermittlungsverfahren vor, sah jedoch einstweilen, solange sie nicht zu vernehmen war, davon ab. Er ließ sich die Adresse des Krankenhauses geben und rief dort gleich an, sobald er wieder zuhause war. Da er kein Angehöriger war, wollte man ihm am Telefon nichts sagen. Er duschte, zog sich um und bestellte sich ein Taxi. Auf der Intensivstation kostete es ihn einige Überredungskunst, der behandelnden jungen Ärztin plausibel zu machen, dass er der Lebensgefährte der Patientin sei und folglich in großer Sorge um sie, die im Koma liege.
Die Ärztin schaute ihn erstaunt an.
„ Im Koma? Wie kommen Sie denn darauf? Sie hat eine schwere Gehirnerschütterung, die einen zeitweiligen Verlust des Kurzzeitgedächtnisses ausgelöst hat, ein Filmriss, wenn Sie so wollen. Sie kann sich an nichts erinnern, was unmittelbar mit ihrem Sturz zu tun hat. So etwas kommt häufiger vor, ein Schutzmechanismus. Gehen Sie ruhig zu ihr, aber nicht zu lange, sie braucht noch viel Schonung.“
Er musste sich kurz an der Wand abstützen, weil sich plötzlich alles um ihn zu drehen schien, und zugleich stieß er einen Seufzer aus, in den sich ein mühsam unterdrückter Lachanfall zu mischen drohte, sodass ein sonderbarer Laut entstand.
„ Was ist? Ist Ihnen nicht gut?“, fragte die Ärztin.
„ Doch doch, alles in Ordnung“, sagte er.
Eva trug einen Kopfverband. Sie war etwas bleicher als sonst, aber ihre Haut war ja ohnehin empfindlich und kaum je gebräunt.
Sie lächelte, als sie ihn erblickte.
„ Ach wie schön, dass Du da bist, Robert, ich hatte Dich schon erwartet. Ich fürchte, aus unserem kleinen Urlaub wird vorerst nichts. Dass mir so etwas Dummes aber auch passieren musste. Wie ist es eigentlich passiert? Ich erinnere mich an nichts.“
„ Du musst ausgerutscht sein im Bad, während ich noch nebenan war. Ich hörte so einen Rumms und einen Aufschrei und sah Dich dort liegen. Ich habe einen furchtbaren Schrecken bekommen und sofort den Rettungsdienst gerufen.“
„ Wie gut, dass Du da warst“, sagte sie, während er ihre Hand hielt.
„ Du brauchst jetzt vor allem Ruhe und Schonung, damit Du rasch wieder gesund bist.“ Er versprach ihr, sie jeden Tag mindestens einmal zu besuchen.
Dann ging er hinaus, ins helle Mittagslicht. Am liebsten hätte er jetzt sofort den Hauptkommissar Schmidbauer angerufen, um ihn zu fragen, was er sich eigentlich dabei gedacht hatte, als er ihm von Evas angeblichem Fall ins Koma erzählt hatte. Aber er hatte sein Handy nicht dabei, das immer noch abgeschaltet in seinem Schreibtisch lag. Außerdem fühlte er sich gar nicht in der Lage, richtig wütend zu werden, weil er viel zu erleichtert war. Vor allem aber merkte er, dass er Hunger hatte. Er nahm sich ein Taxi und ließ sich zu einem Italiener fahren, hatte dann aber keine Lust, dort im Lokal zu essen, sondern nahm sich das Tagesmenue, bestehend aus Involtini, Spaghetti und Salat, mit nach Hause. Das Essen war nicht mehr warm, als er es verzehrte, aber es schmeckte ihm dennoch so gut, wie ihm seit langem nichts geschmeckt hatte.
Dann rief er Schmidbauer an, erreichte aber nur seine Sekretärin und bat um Rückruf. Der erfolgte allerdings an diesem Tage nicht mehr, sondern erst am nächsten, als es bereits Abend wurde.
„ Entschuldigen Sie, dass ich mich erst jetzt melde“, sagte der große Mann mit der sonoren Stimme. „Aber wir waren hier die ganze Zeit schwer beschäftigt. Es gibt Neuigkeiten, die ich Ihnen übrigens auch so mitgeteilt hätte, weil Sie ja doch wohl irgendwie ein Recht
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