Die Frau am Tor (German Edition)
Morgendämmern mit ersten zaghaften Ansätzen den Himmel zu färben.
Sie weigerte sich auszusteigen.
“ Ich kann das nicht, ich kann jetzt nicht in dieses Haus”, schluchzte sie unvermittelt auf und klammerte sich an seinen Arm.
“ Na, na, was soll denn das”, sagte er mit einem rauen Klang in der Stimme. “Es ist doch jetzt gut. Und Sie müssen doch sowieso wieder dorthin zurück. Es nützt überhaupt gar nichts, wenn Sie sich jetzt dagegen sperren.”
“ Kann ich nicht mit zu Ihnen? Nur für diese paar Stunden, bis es richtig Tag ist?”
“ Nein, tut mir Leid, das geht nicht, auf keinen Fall”, antwortete er entschieden.
Sie gab plötzlich einen glucksenden Laut von sich, der wie eine Mischung aus Jammern und einem kleinen ratlosen Lacher klang und sagte leise:
“ Irgendwie ist das alles doch völlig verrückt. Ich weiß überhaupt gar nicht, wer Sie sind, nur, dass Sie Robert Kessel heißen. Sind Sie eigentlich auch verheiratet?”
“ Kessler”, verbesserte er sie. “Nein, bin ich nicht, aber ich lebe in einer festen Beziehung.”
Erst jetzt musste er wieder an Eva denken. Es war nur gut, dass sie zur Zeit nicht da war, sondern aus beruflichen Gründen für einige Tage nach Köln gefahren war. Ob sie sonst jetzt bei ihm zu Hause gewesen wäre, war allerdings fraglich. Sie hatte ihre eigene Wohnung in Potsdam, wo sie bei einer Filmproduktionsfirma arbeitete, und häufiger als zwei Mal pro Woche blieb sie fast nie über Nacht bei ihm, zudem meist am Wochenende. Rein theoretisch wäre es also möglich gewesen, Julia Gerlach mit in seine Wohnung zu nehmen – wenn nicht die übrigen Hausbewohner gewesen wären.
Er wohnte in einer Altbauwohnung in einer der großen, alten, für das Viertel typischen Gründerzeitvillen, etwa zwanzig Gehminuten vom Haus der Gerlachs entfernt, und er verstand sich mit den Mietern der übrigen vier Wohnungen gut. Aber in dem Haus wurde ziemlich viel geredet. Normalerweise störte er sich nicht daran. Doch was geschehen wäre, wenn er dort plötzlich mit einer fremden Frau erscheinen würde, einer anderen als Eva, konnte er sich lebhaft vorstellen. Bestimmt würde es irgendjemand mitbekommen, spätestens, wenn die Frau das Haus wieder verließe. Und schon würde das Getuschel losgehen.
“ Können Sie denn wenigstens noch mit zu mir reinkommen?”, fragte sie schüchtern. “Nur für eine Weile, ich kann jetzt einfach nicht allein sein.”
“ Ja, das lässt sich machen”, sagte er. Das hatte er ohnehin vorgehabt, um sich noch einmal zu vergewissern, dass es auch wirklich nirgendwo mehr irgendwelche Spuren gab. Sie atmete erleichterte auf.
Nachdem er den Wagen in die Garage gefahren hatte und sie wieder im Wohnzimmer saßen, fragte er sie, wann denn ihr Mann zurückkomme.
“ Freitag, also übermorgen...ach nein, wir haben ja schon Donnerstag. Ich bin ganz durcheinander, ich weiß gar nichts.”
Sie ließ sich in ihren Sessel sinken, holte wieder ihre Zigaretten aus der Handtasche und bot auch ihm eine an. Er griff auch diesmal zu und inhalierte so tief, dass seine Lungen fast schmerzten. Aber er nahm sich vor, es dabei zu belassen und nicht wieder damit anzufangen. Auch nicht mit dem Trinken. Von dem Wein vorhin merkte er schon gar nichts mehr. Er hatte ihn fast vergessen.
“ Sie sollten jetzt duschen oder baden und sich dann schlafen legen. Schlafen Sie so lange wie möglich”, sagte er. “Am besten nehmen Sie nochmal etwas zur Beruhigung”.
“ Ja ja, zur Beruhigung. Julia nimmt etwas zur Beruhigung und schon wird alles gut. Nichts ist gut, gar nichts”, stieß sie in einem unvermittelt seltsam höhnischen Ton hervor, um dann resigniert, mit kleiner Stimme fortzufahren: “Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, wovon Sie reden, weil Sie so etwas selbst nicht kennen. Ich habe Angst, schreckliche Angst, schon seit längerem, immer wieder, nicht nur heute, nicht nur wegen dieses......dieses Unglücks. Es sind solche Panikattacken, die mich immer wieder wie aus heiterem Himmel überkommen, verstehen Sie? Nein, Sie verstehen es bestimmt nicht, niemand kann das verstehen, der es noch nicht selbst erlebt hat. Es ist schrecklich, einfach nur schrecklich.”
Sie schaute ihn ähnlich an wie schon vorhin, als sie zum ersten Mal hier gesessen hatten, so als versuche sie zu ergründen, wer er eigentlich sei.
“ Sie sind bestimmt jemand, der überhaupt nicht weiß, was das Wort Angst überhaupt bedeutet.”
“ Oh doch, seien Sie unbesorgt, das weiß ich ziemlich
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