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Die Frau an Seiner Seite

Die Frau an Seiner Seite

Titel: Die Frau an Seiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heribert Schwan
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alleingelassen. Das unbeschwerte Kinderlachen in der Montbéstraße erklang seltener.
    * * *
    Am 2. Februar 1943 wurde die Schlacht um Stalingrad mit der Kapitulation der deutschen Truppen beendet. Wenig später schwor Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in seiner Rede im Berliner Sportpalast die Deutschen auf den »totalen Krieg« ein. Was das bedeutete, sollten vor allem die Bewohner der Großstädte zu spüren bekommen – der Krieg, dessen Schauplätze bislang fern der »Heimatfront« gelegen hatten, hielt Einzug in das Leben der Zivilbevölkerung. Lebensmittelrationierungen bestimmten den Alltag in Nazideutschland, der Bombenkrieg nahm von Woche zu Woche an Heftigkeit zu. Währenddessen vermeldete das Oberkommando der Wehrmacht unverdrossen bedeutende Kriegserfolge an der Ostfront. Am 7. März empfing Adolf Hitler in seinem Hauptquartier »Werwolf« nahe des ukrainischen Winniza Rüstungsminister Albert Speer, um das dringliche Problem der nachlassenden Waffenproduktion zu besprechen. Speer, wichtigster Auftraggeber der HASAG, war Hannelores Vater in seiner Eigenschaft als Direktor beim NS-Rüstungskonzern schon mehrfach begegnet. Das Treffen zwischen Speer und Hitler sollte auch für Wilhelm Renner und die HASAG Folgen haben. Ein Jahr später wurde das Unternehmen mit der Massenproduktion von Raketenwerfern und Panzerfäusten betraut und als »NS-Musterbetrieb« ausgezeichnet. Während zu Beginn des Krieges in der Rüstungsindustrie nur besonders zuverlässige »deutsche Elitekräfte« arbeiteten, wurden mit der Zeit verstärkt Zwangsarbeiter eingesetzt. Auch die HASAG rekrutierte diese Kräfte aus verschiedenen Außenstellen der Konzentrationslager in Deutschland sowie im »polnischen Generalgouvernement«.
    Im Hause Renner wurde an jenem 7. März 1943 ein großes Fest gegeben. Der zehnte Geburtstag von »Püppi« wurde wie schon in den Jahren zuvor ohne Abstriche mit allen Freundinnen und Schulkameradinnen gefeiert. Hannelore wurde mit Geschenken überhäuft, die Kinder stürzten sich vergnügt auf die Süßigkeiten und Kuchen, die das Hauspersonal bereitgestellt hatte. Mitten im Krieg ein bisschen heile Welt, die es so bald nicht mehr geben sollte.
    Mit ihrem zehnten Geburtstag begann für Hannelore automatisch die Mitgliedschaft in einer NS-Organisation. Die Nachwuchsorganisation der NS-Frauenschaft, in der Mutter Renner zu den prominenten Mitgliedern zählte, war der Bund Deutscher Mädel (BDM) für die 10- bis 18-Jährigen. Darin eingeschlossen war der Jungmädelbund (JM) für die 10- bis 13-jährigen Mädchen. Hannelore Renner gehörte, wie Millionen anderer Kinder, ab sofort und selbstverständlich dazu. Seit 1936 wurden alle Jugendlichen des Deutschen Reiches zu einer Mitgliedschaft in der Hitlerjugend (HJ) oder im Bund Deutscher Mädel zwangsverpflichtet. Nach dem Willen der Naziführung sollten die Jungen zu »politischen Soldaten« und die Mädels zu »starken und tapferen Frauen« erzogen werden. Die Jungmädels sollten sich bereits in »Handarbeit und Kochen« auskennen und für die »Wärme des heimatlichen Herdes« sorgen lernen.
    Das alles entsprach nicht nur der geistigen und politisch-ideologischen Linie der Eltern, sondern auch den damaligen Erziehungsidealen der gehobenen Schicht der Leipziger Parteigänger, zu denen die Renners gehörten. Wenn es nach den Vorstellungen ihrer Eltern gegangen wäre, hätte es keiner Zwangsverpflichtung bedurft, Hannelore wäre auch freiwillig Mitglied geworden. Das Kind trug die Standardbekleidung der Jungmädel gerne – dunkelblauer Rock, weiße Bluse und schwarzes Halstuch mit Lederknoten – und fand wie die meisten Kinder in diesem Alter großen Gefallen an der gut organisierten gemeinsamen Freizeitgestaltung im JM. Dazu zählten vor allem Ausflüge, Wanderungen, Märchen- und Theateraufführungen, Puppen- und Marionettenspiele sowie Tanz und Musik. Durch »gymnastische Schulung« sollten die Mädchen Anmut lernen und auf ihre zukünftige Rolle als Mütter vorbereitet werden. Im Winterhalbjahr gehörten Handarbeit- und Bastelabende zum Regelangebot der Jungmädel in Leipzig. Die Renner-Tochter zählte von Anfang an zu den verlässlichen Mitgliedern, die mit Freude und Vergnügen all das mitmachte, was der Jungmädelbund bot. Das Einzelkind mochte die gute Kameradschaft und genoss das Zusammensein mit anderen. Die stolzen Eltern registrierten erfreut, wie »positiv« sich das Eingebundensein in diese neue Gemeinschaft auf die körperliche und

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