Die Frau an Seiner Seite
seelische Entwicklung ihrer Tochter auswirkte. Mutter Renner gefiel sich mit ihrem starken Engagement in der NS-Frauenschaft in der Rolle des nachahmenswerten Vorbildes für ihre Tochter.
Im Herbst 1943 bestand Hannelore mit Bravour die Aufnahmeprüfung für die Leipziger Höhere Mädchenschule, die 1933 in »Gaudigschule« umbenannt worden war. Der Name verwies auf den Reformpädagogen Hugo Gaudig, zu dessen didaktischem Konzept die freie geistige Arbeit und eine offene Persönlichkeitsbildung gehörten. Gaudig legte Wert auf Individualität und eine Erziehung zu eigenständigem Denken. Doch längst waren diese Erziehungsmethoden verpönt, und das NS-Regime versuchte mit Erfolg, die Lehrerschaft der Gaudigschule ideologisch zu unterwandern. Hannelore hatte sich seit ihrer Einschulung längst an den morgendlichen Appell mit Hitlergruß vor Unterrichtsbeginn gewöhnt. Auch bei den Jungmädel-Treffen war der »Deutsche Gruß« verpflichtend, eine Selbstverständlichkeit, die vor allem für die Jüngeren nicht zwangsläufig mit dem nationalsozialistischen Personenkult um Adolf Hitler gleichgesetzt wurde. Es gehörte einfach dazu und wurde naturgemäß nicht hinterfragt. »Heil Hitler« ging Jungmädels wie Hannelore eines war, ebenso geläufig über die Lippen wie »Guten Morgen«. Dass der Vater auch zu Hause gerne Uniform trug, war ein gewohntes Bild; ebenso, dass bei den rauschenden Festen im Hause Renner die braune Prominenz ein- und ausging.
Kapitel 2
BOMBENKRIEG
Der von Nazi-Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg wütete nun schon im vierten Jahr. Es herrschte Krieg an allen Fronten, die Tötungsmaschinerie in den Konzentrationslagern lief unaufhaltsam. Nach den raschen Eroberungen im Westfeldzug und den ersten Erfolgen im Krieg gegen die Sowjetunion beherrschte das nationalsozialistische Deutschland 1943 den größten Teil des europäischen Kontinents. Erst, nachdem sich die 6. deutsche Armee in Stalingrad nach einer der blutigsten Schlachten der Weltgeschichte der Roten Armee ergeben hatte, begann sich das Blatt zu wenden. Beinahe pausenlos bombardierten alliierte Fliegerverbände das »Reichsgebiet« und legten Städte und Dörfer in Schutt und Asche. Leipzig wurde wegen seiner Rüstungsindustrie wiederholt zum Ziel massiver Bombardements. Allein in der Nacht zum 21. Oktober 1943 warfen 285 britische Flugzeuge bei 15 Verlusten 1085 Tonnen Bomben auf die Stadt ab. Wegen ungünstiger Witterung verfehlten die meisten Maschinen mit ihrer todbringenden Fracht allerdings ihr Ziel. Der schwerste britische Luftangriff auf die »Reichsmessestadt« erfolgte am 4. Dezember 1943. Sechzehn Minuten lang dauerte das Bombardement. Zwischen 3.58 und 4.14 Uhr warfen 527 Flugzeuge bei 23 Verlusten in mehreren Angriffswellen 1382 Tonnen Bomben auf die Stadt ab, darunter Luftminen, Spreng- und Brandbomben. Noch drei Tage später brannte die Stadt. Mehr als 1800 Männer, Frauen und Kinder kamen dabei um. 140 000 Menschen, ein Fünftel der Einwohner, wurden obdachlos. Eine Schneise der Zerstörung – drei Kilometer breit und fünf Kilometer lang – zog sich vom Norden über das ganze Stadtzentrum Leipzigs nach Süden und Südosten. Die Statistik weist aus, dass über 4000 Gebäude durch den Angriff total zerstört wurden, darunter 56 Schulen, mehrere Krankenhäuser, neun Kirchen, mehrere Theater und das Hauptgebäude der Universität. 50 Millionen Bücher verbrannten. Die Buch-, Kunst- und Messestadt war so schwer getroffen wie nie zuvor in ihrer Geschichte.
Die Bewohner der Montbéstraße 41 hatten großes Glück. Sie überlebten den »Terrorangriff«, wie die Propaganda formulierte, im Bunker des Hauses. Dennoch grub sich die verheerende Bombennacht allen ins Gedächtnis ein. Nach der Entwarnung waren die Hausbewohner auf die Straße gerannt, um die Schäden zu begutachten. Was sich dort vor ihren Augen abspielte, war ohne Beispiel: Wo immer sie hinschauten, sahen sie brennende Häuser. Es tobte ein unbeschreiblicher Feuersturm, der ein Getöse verursachte, das die Überlebenden nie vergessen würden. Hannelore und ihre beste Freundin Rena waren starr vor Angst. Sie erlebten Menschen, die verzweifelt versuchten, die verheerenden Brände zu löschen und mit Töpfen und Eimern gegen das Flammenmeer anzukämpfen. Sie sahen fürchterlich verstümmelte und verkohlte Leichen und blickten auf die Kraterlandschaft, die das Bombardement hinterlassen hatte. Sie spürten erstmals, was Krieg bedeutet. Begreifen konnten sie nichts.
Das
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