Die Frau an Seiner Seite
Haus in der Montbéstraße 41 war eines der wenigen im Viertel, das wie durch ein Wunder verschont geblieben war. Lediglich sämtliche Fensterscheiben waren zerborsten. Die eigentliche Katastrophe der schrecklichen Bombennacht war für Hannelore der Tod des Dackels »Dorli«. Der quirlige Jagdhund des Vaters war ihr über Jahre ein treuer Begleiter gewesen. Der Tod des geliebten Tieres war furchtbar für sie, nichts und niemand konnte sie trösten in ihrem Leid. Tagelang trauerte sie um »Dorli« und es dauerte lange Zeit, bis sie den Verlust ihres Dackels verkraftet hatte.
Nach dieser schweren Bombennacht beschloss Wilhelm Renner, Frau und Tochter aus der Gefahrenzone zu bringen. Schon zwei Tage nach der Bombardierung Leipzigs und dem anschließenden Feuersturm begann die überhastete Evakuierung. Auch die Nachbarn und Hannelores beste Freundin Rena Georgi verließen die Stadt. Wilhelm Renner lud ein paar Taschen mit dem Nötigsten in seinen Dienstwagen und brachte seine Lieben persönlich in das gut 25 Kilometer von Leipzig entfernte Städtchen Grimma. Mutter und Kind fanden bei einer ihnen kaum bekannten Familie Aufnahme. Das Leben in Überfluss und Luxus fand damit ein jähes Ende. Getrennt vom Vater, der in Leipzig blieb, getrennt von den Freundinnen, waren Hannelore und ihre Mutter nun Fremde unter Fremden.
Schlimmer konnte es kaum kommen. Hannelore setzte nicht nur der Verlust der vertrauten Umgebung massiv zu. In Leipzig hatte sie sich noch von ihrem geliebten Kindermädchen verabschieden müssen. Die herzensgute und feinfühlige Hilde war als Rotkreuz-Schwester zum Kriegsdienst eingezogen worden und hatte in Hannelores Leben eine riesige Lücke hinterlassen. Wann immer sie an sie dachte, kamen ihr die Tränen. Ihren Schmerz konnte sie mit niemandem teilen. Das Leben, das sie nun führen musste, war völlig ungewohnt. Die Zahl der Spielzeuge war auf ein Minimum begrenzt, es gab auch keinen privaten Musikunterricht mehr. Mit ihrer Mutter lebte sie auf engstem Raum, vorbei die Zeit, in der Irene zahlreiche Hausangestellte mit den praktischen Dingen des Alltags betrauen konnte.
Hannelores Mutter empfand die neue Situation als tiefen Absturz. Hier war sie nicht mehr länger die Direktoren-Gattin, die sämtliche Privilegien genoss; hier war sie eine Namenlose unter vielen. Rauschende Partys und fröhliche Damenkränzchen gab es nicht mehr, nun ging es ums Überleben. Was jetzt noch blieb, war die Erinnerung an die glanzvolle Vergangenheit – und die Hoffnung auf bessere Zeiten.
* * *
Unterdessen kamen auf den HASAG-Direktor Wilhelm Renner ständig neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu. Der »Vizefeldwebel d.Res.« des Ersten Weltkriegs war seit Kriegsbeginn 1939 »uk«, unabkömmlich. Seit 1934 gehörte er zum Spitzenmanagement des inzwischen kriegswichtigen Großunternehmens. Mit Hilfe von Krediten des Reichsfinanzministeriums, die über die SS-Hausbank Dresdner Bank abgewickelt wurden, hatten die deutschen HASAG-Standorte erheblich erweitert werden können. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs produzierte die Firma ausschließlich für die Wehrmacht. Mit 27 000 Beschäftigten, davon über 10 000 allein im Stammwerk in Leipzig, nahm sie einen Spitzenplatz unter den deutschen Munitionsfabriken ein. 1930 hatte das Unternehmen gerade einmal 1000 Mitarbeiter gezählt.
Ihren Beschäftigten gewährte die Firma eine Reihe besonderer Vergünstigungen. Dazu zählten Geburtenbeihilfen und Kindergeld, Unfallrenten und verbilligtes Kantinenessen. Siedlungsdarlehen förderten den Bau von Eigenheimen. Die HASAG-Mitarbeiter konnten das betriebseigene Schwimmbad, den Sportplatz und die Bibliothek benutzen. Das Unternehmen finanzierte den Männerchor und die nationalsozialistische »Werkschar«. Mit diesen sozialen Anreizen gelang es dem Unternehmen, die Arbeitsleistung zu fördern und die innerbetriebliche Unterstützung für das nationalsozialistische Regime zu verbessern.
Entscheidend für die Expansion der Leipziger Aktiengesellschaft waren die Aufträge der Deutschen Wehrmacht und der steigende Munitionsbedarf der Armee. Nach der Besetzung Polens wurden dem Leipziger Werk die ehemalige staatliche Munitionsfabrik in Skarzysko-Kamienna sowie weitere Betriebe in Kielce und Tschenstochau übertragen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 kam es in der deutschen Rüstungsindustrie zu erheblichen Engpässen, der Bedarf an Waffen und Munition konnte kaum noch befriedigt werden. Für die HASAG begann damit eine
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