Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
kümmert«, sagte sie mit höflichem Interesse.
    »Gewiss«, gab er zur Antwort. Wieder holte er Luft. »Er hat natürlich seinen Kammerdiener mitgenommen.«
    Sie konnte nichts weiter sagen, ohne eine ungehörige Neugier an den Tag zu legen, ein Verstoß gegen die Regeln der Gesellschaft, dessen sie sich noch nie schuldig gemacht hatte. Neugier war ordinär und ein Hinweis darauf, dass es dem eigenen Leben an Interessantem fehlte und man nicht wusste, womit man sich beschäftigen sollte. Eine solche Unfähigkeit hätte niemand zugegeben.
    So sagte sie: »Ich denke, dass ihm das gut tun wird. Ich muss sagen, dass mir die Monate Januar und Februar hier auch nicht besonders behagen. Früher, als ich noch viel auf dem Lande lebte, war das anders. Ein Waldspaziergang macht zu jeder Jahreszeit Freude, während einem die Straßen Londons, wenn Schnee liegt, höchstens nasse Röcke bis hinauf zu den Knien bescheren. Da wirkt der Gedanke an Südfrankreich richtig verlockend.«
    Er fixierte sie mit einem steinernen Blick. Sicherlich war es keine Einbildung, dass Feindseligkeit darin lag und die Gewissheit, dass sie keinesfalls aus Höflichkeit einer Frau ihre Aufwartung gemacht hatte, die sie nicht kannte.
    Mit den Worten: »Sie kennen zu lernen war mir ein aufrichtiges Vergnügen, Mrs Arbuthnott«, verabschiedete sich Vespasia liebenswürdig. »Sicherlich wird Ihnen Ihr Aufenthalt in London gefallen.« Garricks Schwester und Schwager nickte sie freundlich zu. »Guten Abend, Ferdinand«, sagte sie noch, wandte sich dann um, ohne auf seine Antwort zu warten, und trat auf den Gang hinter den Logen hinaus. In Armeslänge entfernt stand Theloneus nach
wie vor im Gespräch mit dem Bischof. Sein Gesicht wirkte wie erstarrt.
    »... falsch verstandene Tugend ist einer der Flüche des modernen Lebens«, sagte der Bischof voll Eifer. Theloneus bedurfte unübersehbar der Errettung.
    »Bischof, wollen Sie auf ein Gläschen Champagner mit uns kommen?«, fragte Vespasia mit berückendem Lächeln. »Oder würden Sie sagen, dass wir ohnehin zu viel davon trinken? Bestimmt haben Sie Recht, und selbstverständlich erwartet man von Ihnen, dass Sie uns allen mit leuchtendem Beispiel vorangehen. Es war erfrischend, Sie hier zu sehen. Weiterhin viel Vergnügen.« Mit diesen Worten bot sie Theloneus den Arm, den er sogleich nahm, erkennbar bemüht, nicht vor Lachen herauszuplatzen.
     
    Ein Besuch bei Saville Ryerson ließ sich weit schwieriger bewerkstelligen. Obwohl sie trotz Garricks Behauptung, sein Sohn befinde sich mit Martin Garvie in Südfrankreich, fürchtete, Tildas Bruder könne etwas zugestoßen sein, ging ihre Sorge um Ryerson noch tiefer. Bestenfalls würde er von der Frau enttäuscht sein, die er rückhaltlos geliebt hatte, so unklug das gewesen sein mochte. Von einem anderen Menschen hintergangen zu werden, zu sehen, wie jede Hoffnung zuschanden wird, alle Träume zerplatzen, war eine der härtesten Prüfungen der menschlichen Seele. Im schlimmsten Fall musste er damit rechnen, sich auf der Anklagebank neben seiner Geliebten wiederzufinden und möglicherweise wie sie am Galgen zu enden.
    Die einfachen Möglichkeiten, zu Ryerson zu gelangen, probierte Vespasia gar nicht erst aus. Sie konnte es sich nicht leisten, mit Fehlschlägen Zeit zu verlieren, und schon gar nicht wollte sie dadurch, dass sie von Menschen einen Gefallen einforderte, den diese ihr schuldeten, einen Hinweis darauf liefern, wie wichtig es ihr war, mit ihm in Verbindung zu treten.
    So entschloss sie sich, gleich den höchsten Beamten im Polizeipräsidium aufzusuchen, dessen Abteilung für den Fall zuständig war. Er hatte ihr vor langer Zeit, als beide deutlich jünger waren,
den Hof gemacht. Später, längst verheiratet, hatten sie gemeinsam ein langes Wochenende als Gäste auf einem der Landsitze irgendeines Herzogs verbracht. Ganz besonders vor Augen stand ihr ein bestimmter Nachmittag in einer Eibenlaube. Sie erinnerte andere nur ungern an Derartiges, denn stilvoll war das nicht – aber bisweilen äußerst nützlich. Angesichts der Situation, in der sich Ryerson befand, konnte sie auf solche Feinheiten keine Rücksicht nehmen.
    Sie brauchte nicht zu warten. Als sie in Arthurs Büro geführt wurde, begrüßte er sie, in der Mitte des Raumes stehend. Die Zeit war gnädig mit ihm verfahren, wenn auch nicht ganz so gnädig wie mit ihr. Er wirkte schmaler als damals, und seine Haare waren vollständig ergraut.
    »Meine Liebe ...«, begann er und schien dann nicht

Weitere Kostenlose Bücher