Die Frau aus Alexandria
müsse.«
Mrs Arbuthnott wusste nicht, wie ihr geschah. Zwar hatte sie noch nie im Leben von einer Lady Wilmslow gehört, was kein Wunder war, da sich Vespasia diese Dame aus den Fingern gesogen hatte, doch wusste sie selbstverständlich, wer Lady Vespasia war, und fühlte sich daher unendlich geschmeichelt.
Vespasia tilgte ihre Schuld mit dem großzügigen Anerbieten: »Sollten Sie sich bis Ende des Monats in der Stadt aufhalten — ich empfange montags und mittwochs. Sofern Sie Gelegenheit zu einem Besuch haben, sind Sie mir hochwillkommen.« Sie entnahm dem silbernen Etui in ihrem Ridikül eine Karte mit ihrer Anschrift und gab sie der Dame, die sie entgegennahm, als handele es sich um ein kostbares Juwel. Das war sie nach den Maßstäben der Londoner Gesellschaft auch, und noch dazu eines, das man für Geld nicht kaufen konnte. Während sie ihren Dank stammelte, gelang es Garricks Schwester nur mit Mühe, zu verbergen, wie neidisch sie war. Dazu aber bestand nicht der geringste Anlass, denn als Gastgeberin Mrs Arbuthnotts konnte sie sie begleiten, ohne dass irgendjemand daran Anstoß nehmen würde.
Dann wandte sich Vespasia an Garrick. »Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Ferdinand?« Auch wenn es sich um eine reine Höflichkeitsfloskel handelte, verlangten die Umgangsformen, dass er darauf einging. »Glänzend. Aber auch mit Ihrer Gesundheit scheint es erfreulicherweise zum Besten zu stehen. Allerdings habe ich Sie auch nie anders erlebt.« Um nichts in der Welt würde er sich zu einem Verstoß gegen die Etikette hinreißen lassen, schon gar nicht vor seinen Gästen.
Sie schenkte ihm ein Lächeln, als hätte er ihr ein großes Kompliment gemacht, während ihr selbstverständlich bewusst war, dass er mit seinen Worten nichts dergleichen gemeint hatte.
»Danke. Sie sagen das mit solcher Herzenswärme, dass es unmöglich wäre, Ihre Großzügigkeit als bloße Floskel abzutun.« Bei diesem Spiel empfand sie eine so spitzbübische Freude, dass sie darüber ganz vergaß, wie sehr ihr Garrick zuwider war. Er erinnerte
sie an andere Tugendbolde in ihrem engeren Bekanntenkreis, die geradezu besessen darauf achteten, dass andere Menschen Regeln einhielten und Selbstzucht übten, ewige Rechthaber, die so schnell nichts verziehen und denen es schon verdächtig war, wenn jemand lachte. Möglicherweise gründete sich Vespasias Ablehnung mehr auf Vermutungen als auf Wissen, womit sie eben der Sünde schuldig gewesen wäre, die sie ihm vorwarf. Später, wenn sie wieder allein war, musste sie unbedingt versuchen, sich zu erinnern, was sie in Wahrheit über ihn wusste.
Mit betont freundlicher und interessierter Miene erkundigte sie sich: »Wie geht es Ihrem Sohn Stephen? Kann es sein, dass ich ihn kürzlich im Park vorüberreiten habe sehen? Es kam mir ganz so vor, als wäre er in Begleitung der jungen Marsh gewesen, wie heißt sie noch, die mit dem unglaublich vollen Haar?«
Garrick stand reglos wie ein Standbild da. Er ließ sich nichts anmerken, doch war sie überzeugt, dass sich seine Gedanken auf der Suche nach einer Antwort jagten.
»Nein«, sagte er schließlich. »Das muss jemand anders gewesen sein.«
Sie sah ihn weiterhin erwartungsvoll an, als verlange die Höflichkeit, dass er noch mehr sagte, und als komme es einer Zurückweisung gleich, wenn er schwieg.
Der Ausdruck von Ärger trat auf sein Gesicht, verschwand aber gleich wieder.
Vespasia überlegte, ob sie sich anmerken lassen sollte, dass ihr das nicht entgangen war, unterließ es aber, weil sie fürchtete, er werde dann das Thema wechseln.
»Bitte verzeihen Sie«, sagte sie rasch, bevor sich sein Schwager ins Zeug legen und ihn retten konnte. »Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.«
Zornesröte stieg ihm in die Wangen, und die Muskeln seines ganzen Leibes spannten sich. »Lachhaft!«, sagte er aufbrausend und durchbohrte sie mit Blicken. »Ich habe nur überlegt, wen Sie da gesehen haben könnten. Stephen geht es in letzter Zeit nicht gut, und der kommende Winter wird ihm noch mehr zu schaffen
machen.« Er holte tief Luft. »Er ist für eine Weile nach Südfrankreich gereist. Dort ist das Klima milder und trockener.«
»Eine sehr kluge Entscheidung«, sagte Vespasia, unsicher, ob sie ihm glauben sollte oder nicht. Zwar klang die Erklärung in jeder Hinsicht vernünftig, doch passte sie in keiner Weise zu dem, was Gracie vom Küchenpersonal im Haus am Torrington Square gehört hatte. »Ich hoffe, dass sich ein verlässlicher Mensch um ihn
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