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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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aufrichtig entsetzt. »Und Sie denken, dass ich Ryerson hängen sehen möchte?«, fragte er mit ungläubiger Stimme.
    »Nein«, entgegnete Pitt ehrlich. »Ich nehme an, dass Ihnen das gegen die Natur ginge. Vermutlich würde das Bewusstsein der Schuld Sie lebenslänglich foltern. Trotzdem würden Sie eher zulassen, dass man ihn hängt, als dass die Umstände des Massakers an die Öffentlichkeit gelangen und wir Ägypten verlieren.«
    Narraway gab keine Antwort. Das Schweigen zwischen den beiden Männern war wie ein finsterer Abgrund.
    »Brauchen Sie nicht die wenigen Minuten auf, die ich noch habe«, sagte Pitt, ohne sich von der Tür zu rühren. Er hatte nicht
die Absicht, ihm mit Gewalt zu drohen, war nicht einmal sicher, dass er imstande wäre, sie anzuwenden. Narraway war zwar kleiner und leichter, aber drahtig und zäh, und möglicherweise hatte er in seiner Ausbildung Dinge gelernt, von denen sich Pitt nichts träumen ließ. Vielleicht war er sogar bewaffnet.
    Dennoch war Pitt entschlossen, sich erst von der Stelle zu rühren, wenn er eine Antwort hatte. Nicht die Vernunft hielt ihn dort fest, sondern seine Gefühle. Er hatte nicht einmal überlegt, was er tun würde, falls Narraway El Abds Ermordung gestanden hätte.
    Einen flüchtigen Augenblick lang brachen einige Sonnenstrahlen durch die Wolken und fielen auf den Fußboden.
    »Es hat weder mit Ägypten zu tun noch mit dem Mord an Lovat oder dem Massaker«, sagte Narraway schließlich leise und mit ein wenig krächzender Stimme.
    Pitt wartete.
    »Verdammt noch mal! Die Sache geht Sie überhaupt nichts an, Pitt«, brach es aus Narraway heraus. »Sie liegt Jahre zurück. Ich ... ich ...« Wieder hielt er inne.
    Pitt regte sich nicht.
    »Vor gut zwanzig Jahren war ich mit der irischen Frage beschäftigt«, setzte Narraway erneut an. »Ich wusste, dass ein Aufstand geplant war – Gewalttat, Morde ...«
    Mit einem Mal überlief es Pitt kalt.
    »Ich musste unbedingt wissen, was da gespielt wurde«, fuhr Narraway fort. In seinen Augen, die Pitts Blick standhielten, war zu sehen, dass er sich elend fühlte.
    »Ich hatte eine Liebschaft mit Ryersons Frau.« Seine Stimme zitterte. »Es war meine Schuld, dass sie erschossen wurde.«
    Pitt hatte mit seiner Vermutung Recht gehabt – es war Schuldbewusstsein. Nur hatte es weder mit Lovat noch mit Ayesha Sachari oder etwas anderem von dem zu tun, was in jüngster Zeit vorgefallen war. Er glaubte ihm, er brauchte gar nicht darüber nachzudenken.
    Narraway wartete, beobachtete nach wie vor Pitts Gesicht. Er würde keine Frage stellen.
    Ganz langsam nickte Pitt. Er verstand. Mehr noch, er begriff mit einem Mal verblüfft etwas, was nie in Worte gefasst worden war und auch nie wieder zur Sprache kommen würde: Seine Meinung war Narraway wichtig.
    »Gehen wir jetzt zum Gericht?«, knurrte Narraway. Er hatte in Pitts Gesicht gesehen, dass er ihm glaubte, und das genügte. Jetzt war die Qual der Anspannung vorüber, und er wollte der Sache ein Ende bereiten. Er hatte eine Schuld zu begleichen und brannte darauf, es endlich zu tun.
    »Ja«, sagte Pitt, drehte sich um und ging dem Ausgang entgegen, ohne sich umzusehen, ob ihm Narraway folgte.
     
    Im Schwurgerichtssaal von Old Bailey gab es eine ganze Reihe freier Plätze. Für das Publikum hatte der Prozess in den letzten Tagen deutlich an Spannung verloren. Wohl hatten die Zeitungen über Tariq El Abds Tod berichtet, doch da es lediglich geheißen hatte, dass es sich um einen unbekannten Ausländer handele, der offensichtlich Selbstmord begangen hatte, hatte niemand eine Beziehung zum Fall Ryerson hergestellt. Auch wenn das Urteil erst am folgenden Tag ergehen sollte, war allen klar, wie es ausfallen würde. Dem Strafverteidiger, Sir Anthony Markham, blieb die Aufgabe, Erklärungsversuche zu unternehmen und auf begründete Zweifel hinzuweisen. Er musste unbedingt den Anschein erwecken, sein Bestes gegeben zu haben.
    Narraway und Pitt traten gerade in dem Augenblick in den Saal, als er sich zu seinem Schlussplädoyer erhob.
    Der Richter warf Narraway wegen der Störung einen missbilligenden Blick zu. Er ahnte nicht, wer der Mann war, der da zu spät kam. Für ihn war es einfach jemand, der nicht wusste, was sich gehört.
    Pitt zögerte. Zwar waren Markham und Narraway miteinander bekannt, doch wies keinerlei Regung auf dem Gesicht des Verteidigers darauf hin – eher war das Gegenteil der Fall. Markham schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf und wandte sich wieder dem

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