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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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nicht mit Tano Fradella.
    Und ebenso redete er mit niemandem über ein anderes Vorkommnis.
    Er wusste, in Brooklyn gab es gewisse Leute, Leute, die etwas zählten, hartgesottene Typen, mit einem Wort: hochgestellte Mafiosi, aber mit denen hatte er nie gemeinsame Sache machen wollen.
    Eines Tages – es war just der Tag seines vierundvierzigsten Geburtstags, und er trank ein bisschen Wein in einem
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 – nahm ihn einer von denen, der Jack Tortorici hieß, beiseite und ließ ein paar Worte fallen.
    «Meine Freunde und ich brauchen einen, der uns einen Gefallen tut.»
    «Wenn ich kann …»
    «Kannst du, kannst du. Du arbeitest doch im Lincoln Park?»
    «Ja.»
    «Kennst du den Teil des Parks, der auf die Achtunddreißigste geht?»
    «Ja.»
    «Da stehen doch zwanzig Bäume, erinnerst du dich?»
    «Sicher.»
    «Uns reicht’s, wenn du zehn von ihnen absterben lässt. Um die anderen zehn kümmert sich jemand anders.»
    «Sie sollen absterben? Wieso das denn?»
    «Dann können da Hochhäuser gebaut werden.»
    «Und wie lässt man die absterben?»
    «Durch Gift, das du von uns kriegst. Es ist flüssig, man muss nur die Erde da begießen, wo die Wurzeln sind. Und nach drei Monaten …»
    Gnazio wurde bleich.
    «Da habt ihr euch den Falschen ausgesucht! Ich bringe weder Christenmenschen um noch Bäume.»
    Tortorici sah ihn genau an, sagte aber nichts, sondern wandte ihm den Rücken zu und ging.
    Drei Tage später schickte man ihn zum Arbeiten in den Lincoln Park, wo er einen Iren ablösen sollte, der O’Connor hieß.
    Als er ankam, kletterte der Ire gerade von einer Kiefer herunter, die an die dreißig Meter hoch war, und sagte zu ihm, dass nur noch die Äste an der Spitze auszuputzen wären.
    Doch Gnazio kletterte nicht gleich auf den Baum. O’Connor hatte das abgesägte Geäst einfach so herumliegen lassen, da nahm Gnazio es und stapelte es gleich unter der Kiefer ordentlich auf. Danach legte er den Sicherheitsgurt an und kletterte hinauf. Als er auf Höhe der Zweige war, die er beschneiden sollte, band er den Sicherheitsgurt los und hielt sich an dem Ast fest, der sich über ihm befand. Es war nur ein winziger Augenblick, der Ast knackt laut, und im Nu wird Gnazio klar, dass der Ast so beschnitten ist, dass er sein Gewicht nicht aushält. Das war sicher O’Connor!, denkt er noch, dann stürzt er ab.
    Zu seinem Glück war er auf dem Stapel von Zweigen und Ästen gelandet, den er selbst aufgeschichtet hatte, sonst wäre er auf der Stelle tot gewesen. So brach er sich nur das Bein.
    Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, sagte der Arzt, dass er für alle Zeit, die ihm zum Leben verbliebe, humpeln würde.
    Doch wie viel Zeit würde ihm noch zum Leben verbleiben? Das war die eigentliche Frage.
    Ganz sicher würde Jack Tortorici wieder versuchen, ihn umbringen zu lassen, zumal es ihm ja beim ersten Mal nicht gelungen war.
    Sie konnten ihn gar nicht am Leben lassen, sie hatten ja Angst, er würde reden. Sie mussten ihn zwangsläufig umbringen, da gab es kein Vertun.
    Also beschloss er, seine Arbeit zu kündigen und anderswo hinzuziehen. Der Bürovorsteher, der ein Neapolitaner war und De Francisco hieß, sagte, dass es ihm leidtäte, denn er wäre ein tüchtiger Placker gewesen, aber was nun aus dem Geld werden sollte?
    «Was für Geld?»
    «Mann, Junge, wach auf! Das Geld, das du von der Versicherung bekommen musst.»
    Gnazio war ganz verblüfft, daran hatte er überhaupt nicht gedacht.
    «Wirklich? Und wie viel steht mir zu?»
    «Eine Kiste voller Dollars, Junge.»
    Gnazio ging schnell nach Hause, packte den Koffer, ließ einen Zettel für Tano da, mit den Worten, er würde nach Vigàta zurückkehren und sich bis dahin ein Zimmer außerhalb von Brooklyn nehmen.
    Zwei Monate später hatte die Versicherung ihm einen Koffer voller Dollars geschickt, genau wie der Neapolitaner gesagt hatte, da ging er an Bord, blieb immer in der Kabine, die er sich mit drei anderen Männern teilte, und machte während der gesamten Reise kein Auge zu: teils wegen des Meeresrauschens, das ihm den Angstschweiß auf den Körper trieb, teils weil er fürchtete, jemand könnte ihm im Schlaf seine Dollars stehlen.
    In Vigàta wohnte er im Haus eines entfernten Verwandten, Sciaverio, der ihm ein Zimmer zur Miete gab. Der Fußboden bestand aus festgestampfter Erde, sodass Gnazio in der Nacht, so leise er konnte, ein Loch unter seiner Bettstelle grub und die Dollars darin versteckte.
    Er begann die Nachricht zu verbreiten, dass er ein Stück

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