Die Frau aus dem Meer
zehn Salmen nicht wieder.
Die Halme waren so hoch, dass man das Meer gar nicht mehr sehen konnte.
Gnazio schnitt sich fünf kurze Schilfrohrstücke zurecht, die er über die Finger der linken Hand zog. Aus weiteren längeren Schilfrohrstücken bastelte er sich eine Schiene für das linke Bein. So waren Hand und Bein davor geschützt, von falschen Sensenhieben getroffen zu werden. Danach machte er sich auf die Suche nach der durchsichtigen Haut, die Schlangen zurücklassen, wenn sie sich häuten. Er fand zwei von ihnen und steckte sie in ein Säckchen, das er sich an den Gürtel band.
Wenn man ein Stückchen von dieser Haut auf eine Wunde legte, wurde die Blutung augenblicklich gestillt.
Er begann mit dem Schneiden des Weizens; am Ende des Tages sammelte er die Ähren ein, bündelte sie und legte sie ringsum auf eine Tenne in der Nähe des Stalls.
Weil der Wind oft vom Land her kräftig wehte, wurden auf diese Weise jene Teile von den Ähren gelöst, denen der Wind am kräftigsten zusetzte. War Gnazio mit dem Schnitt fertig, nahm er mit der Forke einige der Bündel auf, löste den Bast ab, der sie zusammenhielt, zerstreute sie und bedeckte die gesamte Tenne mit den Halmen. Danach holte er das Maultier und ließ es an langen Zügeln im Kreis herumgehen, mal in weiteren, mal in engeren Runden, damit die Hufe des Tieres die Ähren zum Platzen brachten und die Körner herausfallen konnten. Und dabei sang er ein Lied, das er gehört hatte, damals, als er noch Tagelöhner war.
Dreh dich, Maultier, ohne Ende,
Von der Tages- zur Abendwende,
Dreh dich immer nur im Kreis,
Wie’s dir Gott gebot zum Fleiß.
Diese Arbeit schafft das Brot
Für der Christenmenschen Not.
Jeder Schritt ein ganzer Laib.
Dem Tag sei Preis in Ewigkeit.
Als alle Ähren auf diese Weise durchgearbeitet waren, wartete Gnazio auf einen Tag mit kräftigem Wind vom Land und fing an zu worfeln. Er nahm eine Schaufel voll Weizenkörner und Stroh und warf diese in die Luft. Der Wind trug die Spreu fort, die leichter war, und ließ die Körner zurück auf die Erde fallen. Am Ende füllte er vierzig Säcke mit großen blonden Hartweizenkörnern.
Er ging ins Bureau von Cosimo Lauricella und brachte ihm ein Säckchen Weizen als Probe mit. Cosimo war zufrieden, beglückwünschte ihn und nannte einen Preis.
Gnazio nannte einen anderen. Sie kamen überein. Gnazio steckte sich das erste Geld, das er mit seinem Stück Land verdient hatte, in den Sack.
Abends, als er unter dem Olivenbaum seine Vesper zu sich nahm, dachte Gnazio Manisco, dass er siebenundvierzig Jahre alt war und sich endlich eine Frau nehmen sollte.
Er beschloss, mit Donna Pina darüber zu reden, wenn er sie das nächste Mal auf der Straße vorbeiziehen sah.
Donna Pina war siebzig, blass wie der Tod und spindeldürr. Sie trug immer dasselbe Kleid, das irgendwann einmal schwarz gewesen, jetzt aber ins Grünliche verschossen war. Ihr weißes Haar war bedeckt von einem großen Schulterschal, der ihr vom Kopf bis zu den Füßen reichte, und zusätzlich von einem Tüchlein von der kackgelben Farbe kranker Hunde. Auf dem Rücken trug sie stets einen Sack voller Kräuter. Zu Fuß brach sie von Gallotta auf, das auf einem Berg lag, morgens, wenn die Sonne noch nicht aufgegangen war, und begab sich nach Vigàta, um alte und neue Kunden zu treffen. Denn Donna Pina kannte das richtige Kraut gegen jede Beschwerde, an der ein Mann oder eine Frau nur leiden konnte.
Kopfschmerzen? Böser Blick? Bauchweh? Brustschmerzen? Sehuntüchtigkeit? Appetitlosigkeit? Kraftlosigkeit im männlichen Glied? Blutüberschuss bei Frauen zu den Mondphasen? Kinder, die nicht kamen? Blutwallungen, die nicht vergingen? Stuhlgang, der sich nicht einstellte? Schleimhusten? Liebesbeziehungen, die nicht gutgeheißen wurden? Betrug durch den Mann oder Betrug durch die Frau? Handgreiflichkeiten in der Familie? Alte, die sich nicht entschließen konnten zu sterben? Ungewollte Schwangerschaften bei jungen Mädchen? Zahnweh? Schwindelgefühle?
Das alles und mehr heilten die Kräuter von Donna Pina. Doch wenn sich die Gelegenheit bot, war die Alte auch noch mit anderen Heimlichkeiten zugange. Auf ihren langen Wegen durch die Dörfer und über Land lernte sie Leben, Tod und Wundertaten aller Menschen kennen, und daher betätigte sie sich zum Zeitvertreib und auf Verlangen auch als Kupplerin und arrangierte Ehen.
Eines Abends, als Donna Pina vor dem Häuschen stehen geblieben war, um ein wenig Wasser zu erbitten, bevor sie
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