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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Ausdünstungen der anderen Auswanderer. Das waren Leute, die sich in die Hose schissen und pinkelten, und Leute, die sich ständig erbrachen, doch nie stieg Gnazio nach oben an Deck. Das Meer, das er ringsum hörte, jagte ihm eine solche Angst ein, dass er zitterte, als wäre er vom Terzan-Fieber befallen.
    In New York suchte er Tano Fradella auf, der Maurer geworden war, weil es in dieser Stadt keine Ländereien gab. So wurde auch Gnazio Maurer.
    Was waren das nur für Häuser, die man da in Amerika baute? Riesig hoch, und zwar derart, dass einem ganz schwindlig werden konnte, wenn man im dreißigsten Stock arbeitete und sich der Gefahr aussetzte, in die Tiefe zu stürzen. Doch wenn er durch die Straßen ging, sah Gnazio viele Bäume und viele schöne Gärten.
    «Wer kümmert sich eigentlich um die Bäume und die Gärten?», fragte er eines Tages Tano Fradella.
    «Die, die sich darum kümmern, sind Leute, die vom New Yorker Rathaus bezahlt werden.»
    «Und wo ist dieses Rathaus?»
    «Hör zu, Gnazio, dich nehmen die da nicht!»
    «Und wieso?»
    «Vor allem, weil du weder schreiben noch lesen kannst. Und dann, weil du nicht ihre Sprache sprichst.»
    Am nächsten Tag, der ein Sonntag war, erklärte ihm ein Landsmann, dass in der Mott Street, ganz in der Nähe von seiner und Tanos Behausung, eine Lehrerin wohne, Signorina Consolina Caruso, die Unterricht zu Hause gab. Am selben Tag sprach Gnazio bei Signorina Consolina vor, die um die siebzig war und spindeldürr, mit einem Gesicht, das aussah wie ein Totenschädel mit Brille, mit einem Wort: gar nicht nett. Sie verabredeten, was die Stunden kosten und wann sie stattfinden sollten. Die Lehrerin gab ihm jeden Abend von acht bis neun Unterricht, zusammen mit einem kleinen Jungen von sieben Jahren, der viel leichter lernte als er und lachte, wenn Gnazio einen Fehler machte.
    Kurzum, nach drei Jahren Unterricht schrieb Gnazio die Bewerbung an das Rathaus. Die Bewerbung wurde angenommen, man brachte ihn in einen Garten, man sah, wie er arbeitete, und eine Woche später wurde er als Gärtner eingestellt.
    Sie zahlten ihm zwar nicht viel, doch es reichte aus, und außerdem war es ein sicheres Einkommen.
    So kam es, dass nicht wenige alte Frauen von Brooklyn anfingen, eindeutige Bemerkungen zu machen:
    «Gnazio, vielleicht ist es jetzt an der Zeit, wo man eine Familie gründen sollte.»
    «Sag mal, Gnazio, willst du denn gar nicht heiraten?»
    Und bald fielen auch die ersten Namen:
    «Da gäbe es eine tüchtige junge Frau, die Tochter von Minicu Schillaci …»
    «Ich möchte dich mit Ninetta Lomascolo bekannt machen, die wirklich ein fabelhaftes Mädchen ist …»
    Doch Gnazio feixte nur und gab keine Antwort.
    In Amerika zu heiraten bedeutete, in Amerika zu sterben. Aber da wollte er nicht sterben, er wollte in seine Heimat zurückkehren und im Angesicht eines Olivenbaums die Augen für immer schließen.
    Wenn sich bei ihm die Lust auf Frauen meldete, weil er schließlich ein heißblütiger junger Mann war, sagte er Tano Fradella Bescheid, der in Weiberfragen genügend Erfahrung besaß. Der ging dann aus dem Haus und kehrte nach einer Stunde mit zwei Mädchen zurück, und man musste schon blind sein, wenn man ihre Schönheit nicht erkannte.
    Eines Morgens, als es noch dunkel war, kam er von der Trauerwache für Signorina Consolina zurück, die gestorben war, die Arme. Da schlurfte ein garstiger, verdreckter Alter aus einem Hauseingang auf ihn zu – sein Atem stank derart nach Wein, dass einer, allein weil er in seiner Nähe stand, schon besoffen wurde – und packte ihn am Revers.
    «Hör zu, Landsmann, zahl mir ein Gläschen!», sagte er mit flehender Stimme.
    «Hast du denn noch nicht genug gesoffen? Du bist doch schon am frühen Morgen sternhagelvoll!», entgegnete Gnazio und versuchte die Hände des anderen von seinem Jackett zu lösen.
    «Was geht’s dich an, ob ich besoffen bin?»
    Vielleicht war es die Art, wie sie miteinander redeten, der Tonfall, dass sie stehen blieben und sich ansahen.
    «Wo bist du her?», fragte der Alte.
    «Aus Vigàta. Und du?»
    «Ich auch. Wie heißt du?»
    «Gnazio. Und du?»
    «Cola. Cola Manisco. Also, was ist? Gibst du mir jetzt einen aus oder nicht?»
    «Nein», sagte Gnazio und gab seinem Vater einen Stoß, der ihn gegen die Hauswand warf.
    Und er drehte sich nicht um, als der Alte anfing zu krakeelen und zu schreien, er wäre ein Schweinehund und der Sohn einer Hurensau. Und über dieses Vorkommnis redete er mit niemandem, auch

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