Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Handtasche war!«.
Wie ich von ihr erfuhr, war Adriana seit frühester Kindheit von ihren Eltern nur »Ady« gerufen worden. Für mich persönlich ging ich nun ebenfalls dazu über. Sie war für mich zwar noch immer eine fremde, geheimnisvolle Person, aber so konnte ich mir im Wirrwar der Namen – Adriana, Adrienne, Oriana, Orianna – doch eine gewisse Klarheit schaffen.
Auch Francisca war von ihrer Familie und Freunden seit je bei ihrem zweiten Vornamen, Renée, gerufen worden.
Maria mit Netje und Ady im Fotoatelier, nach Kriegsbeginn 1914. Der abwesende Firmin wird ins Bild hineinprojiziert.
Viele Schreiben gingen nun hin und her, in denen mich Renées Sprachkenntnisse und ihr für ihr Alter beeindruckendes Erinnerungsvermögen immer wieder erstaunten. Wenige Wochen später sollte ich sie auch in Antwerpen besuchen. Renée hatte Ady Anfang der vierziger Jahre kennengelernt, hatte sie öfter zuhause besucht und kannte Adys Eltern. Die Mutter Maria erinnerte sie als warmherzige Frau, die ein inniges Verhältnis zu ihrer Tochter hatte. Und sie war eine begnadete Schneiderin. Damit war das Geheimnis ihrer eleganten Garderobe gelüftet. Immer wenn die Jahre schlecht waren, trug Maria mit ihren Fertigkeiten zum Familieneinkommen bei. Sie nähte nicht nur ihre eigenen, sondern auch die Kleider und Kostüme, die Ady über all die Jahrzehnte auf den Fotografien trug.
Der Vater Firmin war Seemann gewesen, als solchen hatte Renée ihn kennengelernt. Das blieb er auch für mich, bis ich in den Auszügen des Registers im Antwerpener Stadtarchiv darauf stieß, dass er das nicht sein Leben lang gewesen sein konnte. Dort wird er als »Stadswerkman«, Arbeiter bei der Stadt, und »Voerman«, Fuhrmann, geführt. Die Dokumente und Bilder im Koffer deuteten durch nichts darauf hin, dass er zur See gefahren war. Renéehatte Firmin in den 1940er-Jahren kennengelernt, die Einträge im Stadtarchiv hingegen stammten aus den Jahren vor 1932. Die Wirtschaftskrise hatte Tausende Arbeitsplätze gekostet, möglicherweise hat Firmin in den zwanziger Jahren seinen Arbeitsplatz bei der Stadt verloren und war später zur See gefahren. Das würde auch seine Abwesenheit auf vielen späteren Fotografien in den Alben erklären.
Kindheit und Krieg
Maria ist ganz vernarrt in ihre kleine Tochter, verbringt die Tage allein mit ihr und wartet am Abend auf Firmins Heimkehr. Ady wächst und gedeiht dank der Fürsorge von »Mamatje«. Das Leben in der Mietwohnung in der Groote Dokstraat 13, der Großen Dockstraße, verläuft in inniger Zweisamkeit, doch von draußen dringt eine allgemeine Nervosität herein. Die Seeleute bringen beunruhigende Nachrichten mit nach Hause, die Überschriften auf den Titelseiten der Zeitungen überbieten sich gegenseitig mit negativen Einschätzungen der Lage, die Wochen vor Kriegsbeginn sind voller Anspannung. Überall in Europa stehen die Zeichen auf Zerstörung und Tod.
Gleich hinter der Wohnung in der Groote Dokstraat beginnen die Docks, das Bonapartedok, das Willemdok. Viele junge Hafenarbeiter, überhaupt junge Männer, werden zum Wehrdienst eingezogen. In der ersten Welle wird noch gelost, Firmin gehört dazu. Belgien hatte die Wehrpflicht erst Ende 1909 unter anderem als Reaktion auf den »Schlieffen-Plan« des deutschen Generalstabs eingeführt. Der war kurz zuvor durch eine Indiskretion durchgesickert und sah im Falle eines Krieges gegen Frankreich den Durchmarsch deutscher Truppen durch das neutrale Belgien vor.
Und dann geschah, wovor sich alle fürchteten. In den Morgenstunden des 4. August 1914 marschierten deutsche Soldaten völkerrechtswidrig in Belgien ein, um Frankreich in den Rücken fallenzu können. Eine Million Soldaten sollen es gewesen sein auf ihrem Vormarsch durch Belgien. Gleich zu Beginn des Krieges fiel Lüttich und wenige Tage später standen die Deutschen vor Antwerpen.
Die Stadt wurde zur »réduit national«, zum Rückzugsort für 80 000 belgische Soldaten um Albert I. erklärt. In den Forts rund um die Stadt sollten sie sich gegen den Feind behaupten, bis Unterstützung durch die französischen und britischen Verbündeten einträfe. Als das Schießen auf die Befestigungen Antwerpens losgeht, ist Ady gerade mal ein gutes Jahr alt. Wochenlang wird gekämpft, einer der belgischen Soldaten mag Firmin gewesen sein, nur wenige Kilometer von zuhause und dennoch weit entfernt.
Noch heute sind zwölf der alten Festungsanlagen leicht im Luftbild zu erkennen. Besonders der Hafen als
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