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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Seidert
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mussten sie irgendwie von der amerikanisch kontrollierten Zone in die Britische Besatzungszone kommen, dort lag Bottrop. Doch ohne Erlaubnisschein ging das nicht.

Frühling in Heidelberg
    Renée hatte einmal erwähnt, die nächste Station von Ady und Jupp sei Frankfurt am Main gewesen – und dort hätten die beiden geheiratet. »They were married in Frankfurt / Main by an american officer and Ady had no more troubles to stay in Germany.«
    Die amerikanische Militärverwaltung hatte ihren Hauptsitz nach Frankfurt verlegt. Hofften sie beide, dort leichter die nötigen Papiere zu erhalten? Ady brauchte ihre Geburtsurkunde aus Belgien und was man sonst noch brauchte, um zu heiraten, und Jupp die seine aus Bottrop. Sie hofften auch, durch die Heirat eine gemeinsame Reiseerlaubnis in die Britische Zone zu erhalten.
    Zuerst einmal mussten sie nach Frankfurt kommen. Auf den Straßen irrten Millionen Menschen umher, Flüchtlinge, Ausgebombte, Soldaten, die sich ihrer Uniform entledigt hatten und auf dem Weg nach Hause waren, ehemalige Kriegsgefangene, alle unterwegs, mit dem Wunsch, endlich wieder irgendwo anzukommen, hungernd, obdachlos und unter schwierigsten Bedingungen. Und überall dazwischen die Kolonnen der alliierten Truppen.
    Zunächst gelang es nicht zu erfahren, ob Ady und Jupp tatsächlich in Frankfurt geheiratet hatten. Es gab nicht einmal einen Hinweis, dass sie sich überhaupt in Frankfurt aufgehalten haben.
    Dagegen existiert ein Meldeschein aus Heidelberg, ausgestellt am 28. Mai 1945. Heidelberg lag noch in der amerikanischen Zone. Quer über das Formular steht ein entscheidender, in den damaligen Tagen existenzieller Zusatz: »In Lebensmittelversorgung aufgenommen.« Das Stadternährungsamt Heidelberg erteilte Ady die zum Überleben nötige Erlaubnis zum Bezug von Lebensmittelkarten. Ady bezog vermutlich wieder zusammen mit Jupp eineWohnung in der Bergheimer Straße 45, ein Zimmer in Untermiete, ihre Vermieter diesmal hießen Mangold.
    Nach der Reise durch das chaotische Kriegs- und Nachkriegsland muss Heidelberg Ady und Jupp erschienen sein wie eine Oase. Die Stadt war von Luftangriffen weitgehend verschont geblieben, nur die Alte Brücke war noch am 29. März 1945 von deutschen Pioniereinheiten gesprengt worden. Seit Wochen waren die Amerikaner in der Stadt.
    Adys Personen-Ausweis gültig für ein Jahr vom 6. Juni 45.
    Das Neckartal gehört zu den lieblichsten Landschaften in Deutschland, und der rote Sandstein der Häuser gibt der Stadt mit dem herzoglichen Flair eine gewisse Behaglichkeit. Der Aufenthalt unterhalb des Schlossbergs war genau das, was Ady brauchte, Erholung von den Strapazen der letzten Monate. Es war Frieden, das war mehr, als sie lange Zeit zu hoffen gewagt hätte. Und es war Frühling, der lange eisige Kriegswinter lag hinter ihnen. Es gab zwar wenig zu essen, aber sie hatten ein Zimmer für sich, die Nazis konnten sie nicht länger in Munitionsfabriken drangsalieren, und die endlos scheinende quälende Odyssee war vorüber.
    Das Haus in der Bergheimer Straße 45 steht noch heute. Es ist eines der älteren in der Straße, um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts herum gebaut, mit mehreren Mietparteien auf vier Stockwerken. Die Wohnung lag zentral, in Laufnähe zum Hauptbahnhof und dem von den Nazis gebauten Thermalbad am Neckarufer. Um die Ecke, in der Kurfürstenanlage, hatten sie eine Aufmarschstraße in der von Hitler auserkorenen »kleineren repräsentativen Reichsstadt« errichten wollen. Daraus ist glücklicherweise nichts geworden. Albert Speer, der Chefplaner der gigantomanischen Hitlerbauten, war zwar ein Sohn Heidelbergs, aber seine zweite Berufung als Rüstungsminister beanspruchte ihn auf anderem Gebiet.
    Der Respekt der Deutschen für Amtsformulare scheint Ady fremd, auch die Rückseite des Heidelberger Meldescheins benutzt Ady als blankes Papier und notiert darauf Vokabeln. Fast scheint es, als ob Ady einen Kochkurs besucht hätte. Da das zu der Zeit allerdings höchst unwahrscheinlich ist, womit hätte man kochen sollen, hat sie Wörter herausgesucht, die sie brauchte, um Rezepte zu verstehen: sugar – sucre, boil – koken, slowly – langzaam. Sie, die zuhause von Maria bekocht und in den vergangenen Monaten in Kantinen verpflegt worden war, musste nun für sich und für Jupp kochen. Die ersten Wörter jedoch, die sie notierte, lassen mich frösteln: dead – dood, kill – dooden, nobody – niemand.
    Am 6. Juni 45 erhält Ady einen Personen-Ausweis,

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