Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
kann.« Doch Jupp muss sich vorsehen, dass er nicht noch in allerletzter Minute zur Landesverteidigung gezogen wird.
Am 18. April stehen die Amerikaner vor Wicklesgreuth. Sie treffen auf Widerstand und schießen, Deutsche schießen zurück, eine Scheune gerät in Brand. In dem Dorf, wo Jupp und Ady wohnen, in Petersaurach, heißt es für den Bürgermeister, »jetzt musst du die weiße Fahne hissen«. Ein amerikanischer Jeep fährt in den Ort, alles sieht ruhig aus. Doch als der Jeep wieder aus dem Ort hinausfährt, ist die Fahne wieder weg. Aus Angst, irgendein Fanatiker würde ihn als Verräter hinrichten, weil er sein Dorf kampflos übergibt, hat der Bürgermeister die Fahne wieder eingezogen. Die Amerikaner kommen zurück und umstellen das Dorf mit Panzern. Einer der Bewohner ist draußen auf dem Feld, er spricht englisch und versichert den GIs, er bürge für Petersaurach, es befänden sich keine deutschen Soldaten mehr im Dorf. Die Amerikaner fahren wieder zurück, der Bürgermeister hängt die Fahne erneut auf – in Petersaurach ist der Krieg vorbei.
Ady ist befreit – ob sie es so empfand? Vermutlich war sie erleichtert, dass das Schießen ein Ende hatte. Wir wissen nicht, obJupp an diesem Tag bei ihr war. Wir nehmen es an, seine Aufträge für Daimler waren vorbei. Er konnte nun, da die Amerikaner das Regiment übernahmen, nirgends sicherer sein als an der Seite der belgischen ehemaligen Zwangsarbeiterin.
Maria und Firmin sorgen sich um Ady und schreiben an Netje, im Original in englischer Sprache. »Liebe Schwester und Schwager, wir erhielten Euren Brief und sind froh, dass Ihr gesund seid. Danke für Adys Brief. Wir erhielten einen von ihr letzte Woche. Mir und Firm geht’s auch gut. Kannst Du an Ady ein Paket schicken? Wir hoffen, dass der Krieg bald vorüber ist und Ady schnell heimkommen kann. Wir schicken Euch alles Liebe und Küsse, Mary und Firm.«
Der Brief von Ady, den Maria erwähnt, ist vermutlich der, den sie unter dem Namen Edouard Mertens geschickt hatte.
Es war ganz still, niemand sagte ein Wort
Am 1. Mai gibt Dönitz im Radio Hitlers Tod bekannt. Am 3. Mai meldet sich Ady in Weißenburg in Bayern an. Warum Ady, vermutlich wieder zusammen mit Jupp, Petersaurach verlassen hat, um in die etwa sechzig Kilometer weiter im Süden liegende Kleinstadt zu ziehen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Renée war in Immeldorf geblieben und hatte Ady aus den Augen verloren.
In Weißenburg war der Krieg seit dem 23. April vorüber. Die Amerikaner hatten die Stadt kampflos eingenommen. Möglicherweise wollten Jupp und Ady den Amerikanern entgegengehen und sich in ihrem Rücken in Sicherheit bringen. Sie waren nicht die Einzigen, die sich in dieser bayerischen 11 000-Seelen-Stadt im Gemeindeamt meldeten. Soldaten auf dem Rückzug brauchten einen Stempel, Offiziere verlangten noch immer bevorzugte Behandlung, obwohl auch sie sich auf dem ungeordneten Rückzug befanden, unzählige Flüchtlinge mussten irgendwo untergebracht werden und wenn es nur für eine Nacht war. Ady und Jupp immerhin konnten bei Familie Lang im Lehenwiesenweg 4 eine Unterkunft ergattern.
Jupp lässt Ady selten und nur ungern allein. Es waren gewalttätige Tage damals. So mancher unter den Einheimischen suchte die Schuldigen für die unabwendbare Katastrophe bei den nächsten, derer er habhaft werden konnte. Die frustrierten Verlierer waren so gefährlich wie die trunkenen Sieger. Und Ady war »Feindin«, zumindest für die, die eine eigene Mitschuld abstritten, die ihre eigene Führung für das Desaster nicht verantwortlich machten, sondern alle anderen, die Feinde eben.
Am 8. Mai übertragen sie im Radio Siegesfeiern und Jubel. Ady und Jupp umarmen sich ganz lang, ganz still. Es ist vorbei. Was vor fünf Jahren mit der Besetzung Antwerpens begonnen hatte, ist nun endlich vorüber. Noch sieht die Zukunft so kriegsgrau aus wie am Tag zuvor, doch so soll es nicht bleiben, so wird es nicht bleiben, das hoffen sie. Ady macht Pläne mit Jupp, jetzt ist alles möglich. Sie können zusammenbleiben, sie können nach Bottrop oder nach Antwerpen gehen. Ady kann ihre Mutter wiedersehen, und Firmin, Netje und Charley.
Sie versucht, an Informationen über den Verbleib von Maria zu gelangen, sie schreibt Briefe, sucht den Kontakt zu amerikanischen Soldaten, die etwas über Belgien, über Antwerpen wissen können. Jupp hält sich zurück, er spricht kein Englisch, und er will den Siegern möglichst nicht auffallen. Adys Englisch ist
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