Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
Zwangsarbeiterin in der Flugmotorenbranche den Amerikanern Informationen liefern konnte? Konnte ihr der CIC im Gegenzug nicht auch behilflich sein, an Informationen über Antwerpen und ihre Mutter zu gelangen? Belege für diese Vermutungen fand ich nicht. Aber was ist schon wahrscheinlich, was ist unwahrscheinlich? Hätte sich Ady träumen lassen, dass sie einmal zehn Monate lang durch das faschistische Deutschland reisen würde, im Auftrag und auf der Lohnliste einer deutschen Firma, die Flugmotoren von Jagdflugzeugen reparierte, die ihre Stadt Antwerpen oder das Haus ihrer Mutter bombardierten? Wie meinte der Zwerg in Nietzsches ›Zarathustra‹: »Alles Gerade lügt. Alle Wahrheit ist krumm.«
Die Jagd auf Nazis setzte ein, keiner der Deutschen wollte einer von ihnen gewesen sein. So manchen ehemaligen Zwangsarbeitern begegneten Deutsche zum allerersten Mal wie Menschen, es war wohl kaum zu ertragen, dass über Nacht aus Unmenschen und Sadisten mitfühlende Zeitgenossen geworden waren.
Doch es sollte nicht lange dauern bis die Devise galt, die Zwangsarbeiter haben ihre Schuldigkeit getan, nun sollten sie wieder gehen – und zwar möglichst schnell. Die Alliierten bezeichneten alle Ausländer, die im Mai 1945 in Deutschland waren, als DPs, Displaced Persons. Auch Ady war eine DP. Das alliierte Oberkommando zählte weit mehr als 11 Millionen zur Zwangsarbeit verschleppte und entwurzelte Menschen in Europa bei Kriegsende, allein sechs Millionen in den drei Westzonen. Die meisten DPs wollten ebenfalls so schnell wie möglich nach Hause. In einem ungeheuren organisatorischen Kraftakt wurden bis zum Herbst etwa zehn Millionen repatriierungswillige Menschen in ihre Heimatländer zurückgeführt, wobei im Juni 1945 täglich fast 100 000 Personen in ihre Länder gelangten.
Auch Renée war eine DP, die schnell zurück nach Belgien sollte. »Ende März 1945 bekamen wir den Befehl, die anderen acht Belgier waren auch auf kleinen Bauernhöfen, and all the foreigners had to come to the nearest town, Lichtenau.« Von dort sollten sie nach Ansbach gehen. »Ein Bauer, der auch im Krieg gewesen, aber abgehauen war aus der Kriegsgefangenschaft, brachte uns eines Morgens in einem alten Auto, davor das einzige Pferd, das noch im Dorf war, nach Ansbach. Meine Familie – alle weinten und ich auch. In april 1945 the americans came, at that part with nearly no fighting or bombing.«Es war Mitte April, etwa um die gleiche Zeit als Ady in Petersaurach von den Amerikanern befreit wurde. »We were put on big american lorries which brought us to Würzburg in a big Kaserne.« Renée wechselte wieder von einer Sprache in die andere. Es war das Kriegsende, von dem sie erzählte, keine normale Zeit. »Am Nachmittag wurden wir auf einem offenen Lkw nach Würzburg gebracht, zu einer Kaserne. Es war ein ganz schönes Gebäude, aber all sorts of nationalities were or have been there – es war alles dreckig, speziell die Toiletten, der Dreck war sogar an der Decke! Wir mussten draußen tiefe Löcher graben, die von geflochtenen Zäunen aus Zweigen umgeben waren. Es war noch immer nicht schön, aber notwendig. We had not much to eat, fortunately we all had got some food from our farmers wifes. Wir hatten nichts zu tun und durften das Gelände nicht verlassen. We had to sleep on the floor but we did a good search in the building and in a little room we found some doors, and that was our bed, it was a bit hard, but we didn’t fuss about.
Es war trotz allem schönes sonniges Wetter und am 8. Mai wurde plötzlich per Lautsprecher durchgesagt, dass der Krieg auf dem Kontinent vorüber sei, Deutschland habe kapituliert. Wir saßen am offenen Fenster. Es war sehr eigenartig, niemand sagte ein Wort, es war ganz still, auch den Rest des Tages.«
Ady hätte eigentlich ebenfalls nach Belgien zurückgemusst. Aber das wollte sie nicht, das hätte die Trennung von Jupp bedeutet und zwar voraussichtlich für sehr lange Zeit – wenn nicht gar für immer. Sie wollte bei Jupp bleiben, mit ihm zusammen leben. Sie hatten beschlossen, zu heiraten. Mit ihm zusammen in Bottrop leben, warum nicht. Noch hatte Ady die Hoffnung, von Bottrop aus bald nach Antwerpen fahren zu können, um ihre Eltern zu sehen. Doch das sollte sich als Illusion erweisen.
Bevor die Deutschen ihre Ressentiments gegenüber den Fremden wieder unverblümter auspackten, beschlossen Ady und Jupp, Weißenburg den Rücken zu kehren. Jupp wollte mit Ady möglichst schnell nach Hause. Dafür
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