Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
ausgestellt von der Polizeidirektion in Heidelberg. Es ist das erste Dokument in Deutschland, das sie nicht als Ausländerin kennzeichnet. Ihr Vorname wird, weil das altdeutsche handschriftliche A wie ein O aussah, fälschlicherweise als Odrianna angegeben, was in der Folge dazu führt, dass ihr Name in andere Papiere auch mal als Orianna übertragen wird.
Ady und Jupp bleiben den ganzen Sommer in Heidelberg. Am 25. August wird Ady, auch hier als Odrianna Van den Eynde, ein Residential Certificate, ein neuer Personen-Ausweis ausgestellt, der allerdings wieder ihre Nationalität, belgisch, nennt. Auf der Rückseite wird darauf hingewiesen: »Bei Mitgliedschaft in der Partei, SS oder SA wird das letzte Feld unten links gelocht.«
Das Feld unten links ist nicht gelocht.
Mit der Meldekarte für den Bezug der Lebensmittelkarten erhält Ady erneut die nötige Unterstützung zum Lebensunterhalt. Als Ausländerin, der rote Schriftzug diagonal über die Frontseite macht ihren Status deutlich, ist sie berechtigt, ohne arbeiten zu müssen, Lebensmittelmarken zu erhalten. Sie geht deswegen am 7. September und am 6. Oktober jeweils einmal zum Arbeitsamt, um sich den notwendigen Stempel abzuholen. Jupp ist nicht so privilegiert. Er wird während des Heidelberger Aufenthaltes von seinen Ersparnissen gelebt haben. Allerdings erhielt er ohne Arbeit keine Lebensmittelkarten – ohne Marken gab es so gut wie nichts zu kaufen, und von Adys Marken allein konnten die beiden auch nicht leben. Vermutlich besorgte sich Jupp eine Arbeit in Heidelberg.
Erinnerungsfoto an einen Besuch in Heidelberg am 21. Juli 1955. Ady mit Maria und Firmin und den amerikanischen Freunden Sophie und Wendell Van Dyke (links neben Ady, letzte Reihe rechts).
Und wie stand es mit seiner Entnazifizierung? Reichte es aus, mit einer ehemaligen belgischen Zwangsarbeiterin liiert zu sein? Musste Ady ein günstiges Zeugnis für ihn ablegen? Leider konnten wir darüber nichts erfahren.
Der November ist auf Adys Meldekarte nicht mehr abgestempelt, wahrscheinlich hatten sie Heidelberg zu diesem Zeitpunkt bereits wieder verlassen.
Lange Zeit versuchte ich, das Hochzeitsdatum der beiden in Frankfurt zu erfahren, stets ohne Erfolg. Irgendwann schien es mir seltsam, dass Ady sich zum einen zehn Jahre später, im Juli 1955, in Heidelberg zusammen mit ihren Eltern hat fotografieren lassen. Es ist das einzige Foto aus Heidelberg. Zum anderen gibt es einen kryptischen Satz in einem Brief, den Ady an ein befreundetes Paar in New York adressierte, an Sophie und Wendell Van Dyke. Im Zusammenhang damit tauchte zunächst der Verdacht auf, Ady könnte im Krieg doch für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet haben. Dann aber stellte sich etwas ganz anderes heraus: Ady bedankt sich in diesem Brief dafür, dass die beiden an ihr Zehnjähriges gedacht haben. Und die beiden, Sophie und Wendell Van Dyke, sind auf dem Foto vom Juli 1955 in Heidelberg auch mit dabei.
Reiseerlaubnis der Militärregierung vom 3. 10. 1945. Ady lässt sich weiterhin als Adrianna Van den Eynde eintragen.
Ich fragte also in Heidelberg nach, ob Ady und Jupp nicht vielleicht dort geheiratet haben – und in der Tat gab es im lokalen Sterberegister einen Eintrag: Ady und Jupp gaben sich am 22. September 1945 in Heidelberg das Ja-Wort. Ady ist nun Frau Adriana Kocyan.
Der zweite Teil von Renées Erinnerungen, dass die beiden von einem amerikanischen Offizier getraut worden seien, wird wohl gestimmt haben. Vielleicht war dieser Offizier der stämmige Wendell Van Dyke auf dem Foto zehn Jahre später.
Am dritten Oktober 1945 ließ sich Ady von der Militärregierung eine Reisegenehmigung ausstellen. Allerdings nicht nach Bottrop,sondern nach Kirchheim in der Pfalz. Als Grund gab sie an, Bekleidung abholen zu wollen. Public Safety Officer Captain Charles R. Hinkley gab Ady dafür Zeit bis zum 20. Oktober. Die Erlaubnis, die Französische Zone zu betreten, sollte ihr aufgrund dieses Ausweises durch den französischen Liaison Offizier erteilt werden.
Was Ady tatsächlich in die Pfalz geführt hat, war nicht zu erfahren, doch es spricht einiges dafür, dass sie während ihres Aufenthaltes in Heidelberg endlich Kontakt zu Maria bekommen konnte. Ady hatte noch immer nur die Garderobe bei sich, die sie im Sommer zuvor in Antwerpen eingepackt hatte. Vieles ist längst kaputt, zerschlissen, verloren gegangen. Maria fand Mittel und Wege, ihrer Tochter über Beziehungen Hilfspakete zukommen zu lassen, unter anderem
Weitere Kostenlose Bücher