Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
lückenhaft, aber ihr ist das egal, wichtig ist nur, dass man sie versteht und dass sie etwas erfährt.
Nach dem Ende der Kampfhandlungen erhielten ehemalige Fremdarbeiter die Möglichkeit, über die amerikanische und britische Feldpost ein Lebenszeichen an ihre Angehörigen zu senden. Die westlichen Alliierten gaben dafür vorgedruckte Feldpostkarten in englischer, französischer und niederländischer Sprache aus. Auch Ady schickt eine Karte an Maria, doch aus Antwerpen kommt keine Antwort.
Auf der Rückseite des Meldescheins von Weißenburg setzt Ady einen Brief an Netje und Charley in Schweden auf. »Liebe Tante und Onkel! Ich schrieb öfter an Mutter, aber sie antwortet mir nicht. Warum nicht? Vielleicht wisst Ihr etwas über sie? Ady.« Selbstdie Adresse schreibt sie übungshalber auf: Frü Antoinetta Högberg Karlson, Fabriksgatan 12a, Nässjö, Sverige.
Adys Schmerz ist zu spüren, die Verzweiflung, nicht zu wissen, wie es Maria geht, ob sie am Leben ist, was in der Zwischenzeit geschehen ist in Antwerpen.
So gar keine Nachricht von daheim zu erhalten, ist heute für uns schier unvorstellbar, wo es möglich ist, beinahe von jedem Fleck der Erde aus mit denen zuhause zu kommunizieren. Ady war von allen Nachrichten abgeschnitten, es war so, als hätten wir heute keine Zeitung, kein Radio, kein Fernsehen und auch kein Internet. Als ob es nur Mund-zu-Mund-Informationen gäbe – und wie glaubhaft die sind, ist nicht überprüfbar. Es gab selbstverständlich Radios und die spielten auch noch – erst um den 6. und 7. Mai herum schwiegen die Sender –, aber wir wissen nicht, ob Ady und Jupp in ihren jeweiligen Quartieren überhaupt einen Volksempfänger hatten. Wahrscheinlich stand einer in den jeweiligen Wohnstuben ihrer Vermieter.
Im Februar war der Beschuss der Deutschen auf Antwerpen am »effektivsten« gewesen. Doch schließlich war die britische Flugabwehr so perfektioniert, dass beinahe drei Viertel der Flugbomben, die auf Antwerpen zuflogen, abgeschossen werden konnten. Die Wehrmacht verlor den Kampf in den Ardennen und musste weiter nach Osten zurückweichen. Im Verlauf des März ließen die V-Angriffe auf die Stadt nach, gleichzeitig steigerte die Flugabwehr ihre Quote auf fast hundert Prozent. Am 27. März schlug der letzte Treffer einer V2 in Mortsel ein, dem Stadtteil im Süden, wieder waren 27 Tote und 62 Verletzte zu beklagen.
Ady hätte auch dann nichts aus Antwerpen erfahren können, wenn sie Tag und Nacht am Radiogerät verbracht hätte. Die Alliierten hatten über den V1- und V2-Beschuss von Antwerpen eine Nachrichtensperre verhängt, um zu verhindern, dass die Deutschen erfuhren, wie effizient ihr Bombardement verlief. Durch das Verbot hatten die Deutschen zwar keinen Hinweis auf den Erfolg ihrer Aktion, die Antwerpener in der Stadt jedoch auch keinerlei offizielle Information darüber, was passierte. Die Menschen in der Stadt waren im Frühjahr 45 mutlos und kriegsmüde. Auch davon wusste Ady nichts.
Im April hob die Militärführung die Nachrichtensperre auf. Das›TIME-Magazine‹ interviewte US-Soldaten, die während der vergangenen vier, fünf Monate im Hafen die Luftangriffe miterlebt hatten, und gab Antwerpen einen neuen Namen: »City of sudden death.«
Anmeldung in Weißenburg/Bayern am 3. Mai 1945. Auf der Rückseite entwarf Ady einen Brief an Netje, mit Fragen nach dem Ergehen von Maria in Antwerpen.
Bei der Frage, warum Ady wohl nach Weißenburg gegangen war, stieß ich auf eine andere mögliche Lösung: Erst kürzlich hatte ich gelesen, dass J. D. Salinger, der Autor des ›Fänger im Roggen‹, zur gleichen Zeit ebenfalls in Weißenburg war. Möglicherweise hatte Ady der Weg also nicht zufällig in die kleine Stadt geführt. Die Zeitungsnotiz in der ›Süddeutschen Zeitung‹ war schnell gefunden: 1942 war der spätere Erfolgsautor eingezogen worden und landete ein Jahr darauf beim Militärgeheimdienst CIC. Am 6. Juni 1944 spülte ihn der D-Day an den Strand der Normandie, danach war er stationiert in Franken, und zwar in: Weißenburg.
Der Militärgeheimdienst CIC suchte nach untergetauchten Partei-Funktionären und Kriegsverbrechern, versuchte den Mord an drei russischen Kriegsgefangenen aufzuklären oder half bei der Entnazifizierung. Wieder kam mir der Verdacht, dass Ady beim Geheimdienst gewesen sein könnte, dass sie von Petersaurach nach Weißenburg ging, weil dort eine Dienststelle des CIC war. War Ady doch eine »Mata Hari« gewesen, die als ehemalige
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