Die Frau des Diplomaten (German Edition)
verstecken. Ich betrete den Raum, der wie immer makellos aufgeräumt ist. Auf dem ansonsten leeren Schreibtisch liegt in der rechten oberen Ecke ein Notizblock, daneben steht ein Becher mit perfekt angespitzten Bleistiften. Süßlicher Geruch nach Pfeifentabak hängt in der Luft. Ich gehe um den Tisch herum, an der rechten Seite befinden sich drei Schubladen, eine breitere, flachere auf der linken Seite. Ich will das oberste rechte Fach aufziehen, aber die Schublade bewegt sich nicht. Auch die anderen sind abgeschlossen.
Ich stutze. Schon Dutzende Male war ich an seinem Schreibtisch, weil ich eine Büroklammer oder einen Stift brauchte, aber nie waren die Schubladen abgeschlossen. Was hat er auf einmal zu verbergen? Die Zweifel an seiner Unschuld werden stärker und stärker. Wo ist der Schlüssel? Ich suche die Regale ab, aber er muss ihn mitgenommen haben.
Plötzlich höre ich von unten ein Geräusch. Ich zucke zusammen und entferne mich hastig vom Schreibtisch. „Hallo?“, ruft Simon aus der Diele. Vor Panik stehe ich wie erstarrt da. Wieso ist er so früh zu Hause? Hastig verlasse ich das Arbeitszimmer und ziehe leise die Tür hinter mir zu. In der nächsten Sekunde taucht er auf der Treppe auf.
„Ich … ich habe Rachel ins Bett gebracht“, stammele ich hastig und deute auf das Kinderzimmer, während ich hoffe, dass ihm nicht aufgefallen ist, aus welcher Richtung ich komme. „Du bist früh zurück.“ Ich gehe an ihm vorbei die Treppe nach unten und bemühe mich, nicht zu zittern. Hat er gehört, dass ich in seinem Zimmer war?
Falls ja, lässt er sich zumindest nichts anmerken. „Ich muss um sieben Uhr zu einem Abendessen“, antwortet er und folgt mir in die Diele. „Darum muss ich mich noch umziehen. Hier.“ Er gibt mir eine längliche Schachtel. „Für dich.“
„Was ist das?“ Ich reiße das Einpackpapier auf, darunter kommt eine dunkelgrüne Verpackung zum Vorschein.
„Ich weiß ja, wie sehr du Pfefferminzpralinen magst“, sagt er, als ich den Deckel abnehme. „Seit du zurück bist, hast du die nicht mehr gehabt.“
„Danke.“ Ich versuche so zu klingen, als würde ich mich sehr darüber freuen. In Wahrheit überschlagen sich meine Gedanken. Simon schenkt mir nie etwas ohne Anlass. Außerdem ist das Geschäft, in dem es meine Lieblingspralinen gibt, in Knightsbridge, und dafür muss er vom Ministerium einmal quer durch die Stadt. Was hatte er in der Gegend zu suchen? Kam es dort zu einem romantischen Treffen mit seiner Geliebten?
„Ich musste über Mittag für eine Besprechung nach Kensington“, erklärt er, als hätte er meinen Argwohn gespürt. Ich erwidere nichts, sondern schließe den Deckel und stelle die Schachtel auf den Wohnzimmertisch. „Willst du nicht wenigstens davon probieren?“
„Ich habe mit Delia so viel zu Mittag gegessen, dass ich keinen Bissen mehr herunterbekomme. Ich werde später etwas davon nehmen. Und was ist das für ein Abendessen, zu dem du musst?“
„Das findet zu Ehren der Chargés d’Affaires statt, die nach Kopenhagen zurückkehren. Ich hatte dir davon erzählt.“
„Oh ja, natürlich.“ In Wahrheit kann ich mich nicht erinnern, auch nur ein Wort davon gehört zu haben. Aber seit meiner Heimkehr bin ich ohnehin so in Gedanken, dass ich vieles nicht mitbekomme. „Es macht dir doch nichts aus, allein hinzugehen, oder?“
Er schüttelt den Kopf. „Genau genommen ist es sowieso eine reine Herrengesellschaft. Ich werde mich bis dahin mit einigen Akten beschäftigen und mich dann umziehen. Bevor ich aufbreche, sage ich dir Bescheid.“
Nervös sehe ich ihm nach, wie er den Raum verlässt und nach oben geht. Habe ich in seinem Arbeitszimmer irgendetwas verändert, das einen Hinweis darauf gibt, dass ich mich dort umgesehen habe? Warum waren die Schubladen abgeschlossen? Mir kommt das Telefonat in Erinnerung. Die Frau hatte von sieben Uhr gesprochen, und heute Abend geht Simon zu diesem Essen … Ich begebe mich in die Küche. An der Wand hängt der Kalender, in den Simon alle wichtigen Termine einträgt, aber für heute, den 20. Dezember, ist nichts vermerkt. Kein Hinweis auf das Abendessen, von dem Simon mir angeblich schon vor Tagen erzählt hat.
Mein Unbehagen steigt. Wahrscheinlich hat es gar nichts zu bedeuten, sage ich mir. Er hat lediglich vergessen, es einzutragen. Allerdings ist Simon dafür ein viel zu gründlicher Mensch. Ich kehre in den Salon zurück und erwäge einmal mehr, ihn zur Rede zu stellen. Aber was soll ich ihn fragen?
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