Die Frau des Diplomaten (German Edition)
ein fröhliches „Guten Morgen!“. Delia ist da. Jetzt erst erinnere ich mich wieder an die Brille. Ich war so durcheinander, dass ich ganz vergessen habe, Charles anzurufen.
Delia kommt in die Küche, sie trägt eine Brille, die ich noch nie an ihr gesehen habe. Ich halte ihr die hin, die sie vergessen hat. „Ich hatte mich schon gefragt, wo ich sie hingelegt habe!“, ruft sie.
„Eigentlich wollte ich dich gestern noch anrufen und dir Bescheid sagen.“
„Nicht so schlimm. Zum Glück hatte ich noch meine alte zu Hause.“ Ihr Ärmel ist feucht, als sie mir die Brille abnimmt und sie gegen die alte auswechselt. Ich sehe aus dem Fenster und bemerke erst jetzt, dass es in Strömen gießt. Und dabei hatte ich gehofft, dass Delia mit Rachel in den Park gehen würde, damit ich in Ruhe Simons Sachen durchwühlen kann. Vielleicht ändert sich das Wetter ja noch.
Aber der Himmel bleibt den ganzen Morgen grau verhangen. Delia nimmt Rachel mit nach oben, um in ihrem Zimmer mit ihr zu spielen, und eine Weile geselle ich mich zu ihnen. Dabei versuche ich mich auf die Bauklötze zu konzentrieren, die Rachel so viel Spaß bereiten. Später lasse ich die beiden allein und ziehe mich mit meinem Buch in den Salon zurück, doch ich starre die ganze Zeit nur aus dem Fenster auf die regennasse Straße. Ich kann mich beim besten Willen nicht konzentrieren. Ist Simon wirklich ins Büro gefahren? Oder hat er sich irgendwo mit dieser Frau getroffen? Ich spiele mit dem Gedanken, ihn im Büro anzurufen, doch da ich das normalerweise nicht tue, würde er nur misstrauisch werden.
Wenig später kommt Delia mit Rachel auf dem Arm nach unten und setzt sie mir auf den Schoß. „Ich kümmere mich um das Mittagessen“, sagt sie und zieht sich in die Küche zurück. Ich drücke meine Tochter an mich und vergrabe mein Gesicht in ihren Locken.
Ich muss an Paul denken. Wenn Simon tatsächlich eine Affäre hat und ich ihn deswegen zur Rede stellte, würde er mich ja vielleicht doch verlassen. Dann könnten Paul und ich endlich zusammen sein. Ein Schauer durchfährt mich. Dieser Gedanke ist fast unvorstellbar. Würde Paul mich unter solchen Umständen überhaupt noch wollen? Womöglich hat er nicht mitbekommen, dass Rachel seine Tochter ist. Eine romantische Begegnung ist eine Sache, eine Beziehung mit einer geschiedenen Frau, die ein kleines Kind hat, eine ganz andere.
Delia kommt zurück und bringt mir Sandwiches und Suppe. Sie schaltet das Radio ein, und die Stimme eines Nachrichtensprechers erfüllt den Raum. Schweigend essen wir und verfolgen die Sendung. Ich gebe Rachel kleine Happen von meinem Sandwich zu essen. Als wir fertig sind, bringt Delia das Geschirr weg und kehrt mit Teetassen zurück. Die Nachrichten sind zu Ende, ein anderes Programm beginnt – „Die Stunde für die Frau“. Wir sitzen da und lauschen der Sendung, während Rachel auf dem Fußboden spielt. Delia kommt nicht auf unsere Unterhaltung vom Vortag zu sprechen, und auch ich erwähne Paul mit keinem Wort. Ich überlege, ob ich ihr von meinem Verdacht erzählen soll, entscheide mich aber dagegen.
Der Nachmittag vergeht nur langsam, der Regen prasselt unablässig gegen die Fensterscheiben. Ich sehe zur Uhr über dem Kamin. Erst kurz nach drei. Delia geht üblicherweise nicht vor sechs, und um diese Zeit werde ich es nicht mehr wagen können, Simons Sachen zu durchsuchen, da er jeden Moment nach Hause kommen kann.
„Wie geht es Charles?“, frage ich, als Delia das Radio ausschaltet.
„Er kränkelt ein wenig“, erwidert sie. „Aber es ist nur eine Erkältung.“
„Du solltest nach Hause gehen und dich um ihn kümmern“, nutze ich die Gelegenheit.
„Meinst du wirklich?“, gibt sie zurück.
Ich nicke. „Mit Rachel komme ich schon allein zurecht.“
Delia zögert, steht dann aber auf. „Charles wird das zu schätzen wissen. Ich mache aber noch ein Fläschchen für die Kleine fertig, bevor ich gehe.“ Sie begibt sich wieder in die Küche und kehrt bald darauf mit einem Fläschchen warmer Milch zurück, das sie auf den Tisch stellt. Dann bückt sie sich zu Rachel hinunter und küsst sie auf die Stirn. „Bis morgen.“
Nachdem Delia das Haus verlassen hat, stehe ich auf und nehme Rachel hoch, die lautstark protestiert. „Zeit für ein Nickerchen, mein Schatz“, sage ich zu ihr und ignoriere meine Schuldgefühle. Ich bringe sie nach oben und lege sie in ihr Bettchen, dann gehe ich in Simons Arbeitszimmer. Etwas derart Privates würde er sicher dort
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