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0183 - Der Mann, der das Grauen erbte

0183 - Der Mann, der das Grauen erbte

Titel: 0183 - Der Mann, der das Grauen erbte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang E. Hohlbein
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Celhams Hals schmerzte. Er fror, obwohl ihm das Digitalthermometer über seinem Schreibtisch sagte, daß in dem winzigen Raum fast dreißig Grad Celsius herrschten. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren, und seine Glieder fühlten sich seltsam taub an, als wären sie nur noch bloße Anhängsel seines Körpers, nutzlos und höchstens noch eine Belastung. Er wußte nicht mehr, wann er hier heruntergekommen war, wie lange er jetzt schon hier saß und versuchte, die Texte aus dem Nekronomikon richtig zu zitieren, ihren Worten den richtigen Klang, die richtige Betonung zu geben. Vor ein paar Stunden hatte er Durst bekommen, später hatte sich Hunger hinzugesellt, aber er hatte jetzt keine Zeit, sich um die Bedürfnisse seines Körpers zu kümmern.
    Er stand kurz davor, kurz vor dem Durchbruch, dem Augenblick, auf den er die letzten fünfunddreißig Jahre seines Lebens hingearbeitet hatte.
    Wieder formten seine Lippen die Worte, konzentrierte er sei ganzes Denken auf jenen winzigen Punkt an der gegenüberliegenden Wand der Kammer, wo er mit sorgfältigen Kreidestrichen das Hexagon hingezeichnet hatte. Seine Hände zitterten vor Aufregung. Er spürte, daß er kurz vor dem Erfolg stand, daß der Formel nur noch eine Winzigkeit fehlte, eine kleine Betonung hier, eine etwas stärkere Aussprache dort - Kleinigkeiten im Vergleich zu den Schwierigkeiten, die er überwunden hatte, ehe er in den Besitz des Nekronomikon gelangt war, des einzigen echten Exemplars, das jemals existiert hatte. Fünfunddreißig Jahre seines Lebens hatte er geopfert, um in den Besitz dieses Schatzes zu gelangen, zehntausende von Meilen weit war er gereist, von einer Enttäuschung zur anderen. Und das beachtliche Vermögen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, hatte sich im Laufe der Jahre in einen beinahe gleichgroßen Berg von Schulden verwandelt.
    Aber das alles zählte nicht mehr. Er hatte seinen Traum verfolgt, und es war ihm egal gewesen, wie viele Fehlschläge es gegeben hatte, daß die anderen hinter seinem Rücken zuerst zu lachen und dann zu tuscheln begannen, daß sich alle seine Freunde von ihm abwandten.
    Rhylee, chtulhu ftagn shudde ftagne shudde-mell
    Er spürte, wie der Bann brach. In seinem Innern tobte für einen winzigen Moment ein Chaos, als er versuchte, seiner Aufregung Herr zu werden und jenen Grad von angespannter Gelöstheit zu erreichen, der notwendig war, um die Beschwörung korrekt durchzuführen.
    Im Zentrum des Hexagons entstand Bewegung. Celham hatte für einen winzigen Augenblick den Eindruck, durch die Oberfläche eines glasklaren Flusses auf den feuchtschimmemden Stein zu blicken, dann verschwand das Phänomen so plötzlich wieder, wie es aufgetaucht war.
    Aber etwas hatte sich verändert.
    Im Zentrum des Kreidezeichens entstand ein sanftes, grünliches Leuchten, als wäre das Feld mit einer phosphorezierenden Farbe überzogen worden. Das Leuchten wurde intensiver, kräftiger, nahm eine giftgrüne Färbung an, und im gleichen Maße, wie der Schein stärker wurde, schien sich das Licht der nackten Glübirne, die an einem Draht von der Decke baumelte, abzuschwächen, als sauge dieses böse Licht die Helligkeit auf.
    Celham schluckte.
    Er konnte nicht leugnen, daß er Angst hatte, aber das war nur natürlich. Außerdem war es zu spät. Er war viel zu weit gegangen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen.
    Celham lächelte verzerrt. Rückzieher… selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er es nicht gekonnt. Fünfunddreißig Jahre lassen sich nicht einfach mit einem Schulterzucken abtun. Und er war auch zu weit gegangen. Er hatte das Tor in diese andere, verbotene Welt schon geöffnet, einen Spalt breit zwar nur, aber weit genug, daß das Grauen seinen Fuß dazwischen stellen konnte. Und so, wie er der einzige Mensch auf der Welt war, der die Gespenster der Vergangenheit beschwören konnte, war er auch der einzige, der sie beherrschen konnte, der einzige Mensch, der zu verhindern imstande war, daß sich die Horden aus der anderen, dunklen Welt über die Erde ergossen und den Menschen die Herrschaft über ihren Planeten streitig machten.
    Konnte er es wirklich…?
    Für einen Sekundenbruchteil wallte Panik in ihm auf. Er verscheuchte den Gedanken, aber die Frage war da, einmal ausgesprochen ließ er sich nicht mehr rückgängig machen.
    Celham lächelte erneut, aber sein Gesicht glich dabei eher einer schmerzerfüllten Grimasse. Im Nekronomikon standen genug Warnungen. Und er wäre nicht der Erste, der Opfer der Dämonen

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