Die Frau des Täuferkönigs: Historischer Roman (German Edition)
Kerl gewiss nicht immer einer Meinung, aber Reynold begleitet mich, seitdem ich vor nunmehr zehn Jahren mehr oder minder freiwillig den Entschluss gefasst habe, als Vagant über das Land zu ziehen. Trotz unserer häufigen Streitigkeiten ist er für mich immer ein Vertrauter und Freund geblieben.
Auch meine Gefährtin Jasmin weist kein besonderes Talent auf. Dennoch ist sie mir beim Verkauf meinerReliquien eine wertvolle Hilfe. Dies ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass in Jasmins Adern ein Anteil orientalisches Blut fließt und ich sie den Schaulustigen darum als Prinzessin aus dem Heiligen Land präsentiere. Wenn sie nicht auf unserer Bühne steht, gibt sie allerdings keineswegs das Bild einer wohlerzogenen Dame ab. Sie spuckt ungeniert auf den Boden, und ihre Wortwahl ist beizeiten so derb, dass es selbst einem hartgesottenen Landsknecht die Schamesröte ins Gesicht treibt.
Wenn es aber darum geht, den Schaulustigen auf den Jahrmärkten meine Reliquien aufzuschwatzen, verwandelt sich Jasmin in eine schillernde Gestalt aus dem fernen Morgenland. Auf der Bühne trägt sie ein seidenes, mit Glöckchen und Bändern geschmücktes Kleid sowie eine kupferne Krone. Mit etwas Schminkpulver lasse ich den bronzefarbenen Ton auf ihren Wangen deutlicher hervorstechen. Alles in allem kann ich der staunenden Menge so eine überzeugende orientalische Prinzessin präsentieren, die angeblich unter den widrigsten Umständen eine weite Reise auf sich genommen hat, um eine Truhe mit heiligen Reliquien aus dem fernen Jerusalem auf diesen Markt zu schaffen. Es erstaunt mich immer wieder, dass nur selten einer der Umstehenden laut seine Zweifel daran äußert, dass eine Dame aus dem Morgenland solche Anstrengungen unternommen hat,nur um auf einer morschen Bretterbühne in Osnabrück, Minden, Warendorf oder anderen recht unbedeutenden Orten diese wundersamen Schätze zum Verkauf anzubieten.
Wahrscheinlich zieht Jasmins Anblick die Menschen ganz einfach in ihren Bann. Wenn sie der Menge dann noch einige fremdartig klingende Wörter zuruft, die sie im Kindesalter von ihrer orientalischen Mutter aufgeschnappt hat, dauert es zumeist nicht lange, bis die ersten Neugierigen herantreten und mir ihre Münzen für den nutzlosesten Tand überlassen.
Wenn es ein Mitglied unserer kleinen Gemeinschaft gibt, das tatsächlich mit einer besonderen Begabung gesegnet ist, dann ist da wohl meine zehnjährige Tochter Mieke zu nennen. Das Mädchen besitzt die geschicktesten Diebesfinger, die mir je zu Augen gekommen sind. Flink und unbemerkt greift sie in die Taschen der reichen Pfeffersäcke und hat auf diese Weise schon einige Münzen ergattert, die uns an so manchen Abenden vor dem Hunger bewahrt haben. Hin und wieder plagt mich die Sorge, dass es irgendwann einmal ein schlimmes Ende mit meiner Tochter nehmen wird, doch im Grunde macht es mich auch stolz, dass sie diese Fertigkeit besitzt.
Das also waren die Gefährten, mit denen ich in Osnabrück auf dem Festgelände vor dem Johannistoreintraf. Bedauerlicherweise kamen wir zu spät an, um einen der begehrten Plätze im Schatten des Stadtwalles zu ergattern, was einen Nachteil für uns bedeutete, denn die meisten der Schaulustigen würden sich in der brütenden Sommerhitze nicht lange in der Sonne aufhalten. Zumindest aber konnten wir unseren Wagen und damit unsere Bühne so aufstellen, dass sie den vorüberziehenden Männern und Frauen sofort ins Auge fiel.
Am Vortag hatten wir die letzten Vorräte aufgebraucht. Mit leeren Mägen machten wir uns nun daran, alles für die Vorstellung vorzubereiten, die am Nachmittag beginnen sollte und uns hoffentlich genügend Münzen für eine sättigende Abendmahlzeit einbringen würde.
An der Seite des Wagens klappte ich eine Plattform aus, die ich mit mehreren Stangen befestigte, so dass sie als Bühne benutzt werden konnte. Jasmin und Mieke spannten sogleich bunte Leinentücher auf, die dieses Podest schmückten – auch wenn sie zum größten Teil bereits recht verschlissen wirkten und die Farben verblasst waren.
Ich schaute mich um, um abzuschätzen, welche Schausteller in der Nähe uns das Geschäft verderben konnten. Uns gegenüber war eine Bühne aufgebaut worden, auf der ein Jongleur seine Kunststücke einübte und ein junger Bursche auf Händen lief. Danebenbefand sich bislang nur ein einziger Wagen, aus dem ich ein dumpfes Brummen und mehrere kreischende Schreie vernahm. Wahrscheinlich handelte es sich um die Vorführung fremdartiger Kreaturen,
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