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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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irgendeiner Stadt ausmachen, aber ein Stück Richtung Norden habe ich einen schwachen Lichtschein gesehen«, meinte Peter.
    »Gott sei Dank! Wie kommen wir da hin?«
    »Wir müssen wohl zurückfahren und dann eine Abzweigung suchen.«
    Es gelang Peter zu wenden. Dann fuhren wir im Schneckentempo den Weg zurück, den wir gekommen waren. Nach etwa hundert Metern meinte Peter: »Rechts von dem hohen Stein zweigt ein schmaler Weg ab. Das Ding sieht aus wie ein Runenstein.«
    Ohne einen Kommentar meinerseits abzuwarten, bog er bei dem hohen Stein ab. Ich sah keinen Weg, aber Hauptsache war schließlich, dass Peter ihn sehen konnte.
    Nachdem wir eine Weile vor uns hin gezuckelt waren, entdeckten wir plötzlich vor uns ein schwaches Licht. Fast hätten wir gejubelt. Wir hatten das Gefühl, die Rettung sei nahe. Mit neu erwachter Hoffnung fuhren wir auf das Licht zu.
    Als wir näher kamen, sahen wir, dass es sich um eine Kerze handelte, die in einem Fenster stand. Der Rest des Hauses lag im Dunkeln. Peter begann erneut zu lachen.
    »Aber natürlich! Deswegen ist es so dunkel! Stromausfall! Das Unwetter hat einen größeren Stromausfall verursacht!«
    Das klang plausibel. Es erklärte auch, warum wir an allen Häusern und Dörfern vorbeigefahren waren.
    Wir fuhren zwischen zwei Torpfosten aus Stein hindurch. Ein Tor war nirgends zu sehen. Jetzt bemerkten wir auch, dass das Haus sehr groß war. Wie groß, ließ sich nur erahnen, da es Nacht war und der Regen alle Konturen verwischte. Das Auto stellten wir ein paar Meter vor dem Haus ab. Müde warf ich einen Blick auf die Uhr des Armaturenbretts. Es war eine Viertelstunde nach Mitternacht. Wir stiegen aus und reckten unsere steifen Glieder. Vollkommene Dunkelheit umhüllte uns, und das Unwetter zerrte an unseren Kleidern.
    Die kleine Kerze brannte unverdrossen im Fenster.
    Quietschend ging die Haustür auf. In der Türöffnung sah ich die Umrisse einer Frau. Sie war nur undeutlich zu erkennen, da die einzige Lichtquelle im Haus die Kerze im Fenster zu sein schien.
    Peter eilte auf die Frau zu und rief: »Entschuldigen Sie die Störung mitten in der Nacht, aber wir haben uns verfahren. Können wir vielleicht hier übernachten?«
    Ich hatte den Eindruck, sie würde nicken. Jedenfalls tat sie einen Schritt beiseite, um uns einzulassen. Als wir über die Schwelle traten, war sie bereits auf dem Weg ins Obergeschoss.
    »Sie will wohl, dass wir ihr folgen«, flüsterte ich.
    Das Alter der Frau war schwer zu bestimmen, aber auf mich wirkte sie recht groß und mager. Ihr dicker Zopf reichte fast bis zur Taille. Das Haar wirkte bereits ergraut, aber es war schwer, bei dem schlechten Licht überhaupt irgendwelche Farben zu erkennen. Sie trug eine Strickjacke über einem langen Hemd, vermutlich ihrem Nachthemd.
    Im Obergeschoss brannte überhaupt kein Licht. Die Frau stand in einer offenen Tür, und da sich hinter ihr ein Fenster befand, sahen wir wieder nur ihre Silhouette. Damals dachte ich nicht weiter darüber nach, weil ich so müde war, aber als wir einige Sekunden zuvor über die Schwelle des Hauses getreten waren, hatte draußen immer noch das Unwetter getobt.
    Hier drinnen schien jedoch der Vollmond durchs Fenster.
    Das kalte Licht fiel auf ein breites Bett mit bestickten Laken. Wir gingen darauf zu, und ich strich mit der Hand über die kunstvollen Stickereien. Da es so hell im Zimmer war, konnte ich deutlich die Initialen A.D. erkennen. Sie waren von hübschen Blumen, Weiß auf Weiß, umgeben. Ein einfacher Küchenstuhl war das einzige weitere Möbelstück in diesem Zimmer.
    Lautlos wurde die Tür geschlossen, und wir waren allein.
    »Sie war nicht gerade gesprächig. Hier ist es natürlich sehr einsam. Vermutlich wohnt sie allein und trifft kaum eine Menschenseele. Wahrscheinlich eine richtige Eigenbrötlerin. Aber das Bett sieht bequem aus. Wir sollten uns hinlegen«, sagte Peter.
    Plötzlich war ich so müde, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Wortlos zogen wir unsere Jeans und die Wollpullover aus und legten sie auf das Fußende des Bettes. Peter hängte seinen nassen Anorak über die Stuhllehne. T-Shirts und Unterwäsche behielten wir an, denn im Zimmer war es kalt. Schlotternd krochen wir unter die schweren Steppdecken. Die Laken waren rau und klamm. Ich erinnere mich, dass sie keinerlei Duft hatten.
     
    Wovon wir genau geweckt wurden, weiß ich nicht, aber wir erwachten gleichzeitig. Peter setzte sich im Bett auf und schrie: »Auf! Schnell! Es

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