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Die Frau im Fahrstuhl

Die Frau im Fahrstuhl

Titel: Die Frau im Fahrstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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brennt!«
    Schlaftrunken rappelte ich mich hoch und zog mir mit Mühe Jeans und Pullover über. Der Mond schien nicht mehr durchs Fenster, aber im Zimmer war es trotzdem nicht vollkommen dunkel. Durch den breiten Spalt unter der Tür war der tanzende Schein eines Feuers zu sehen. Kein Zweifel, es brannte wirklich.
    Wir fanden unsere Gummistiefel neben der Tür und zogen sie an. Peter packte meinen Arm und schrie: »Wir reißen die Tür auf und rennen die Treppe hinunter. Das ist unsere einzige Chance. Ich zähle bis drei. Eins… zwei… drei!«
    Ohne meinen Arm loszulassen, riss Peter die Tür des Schlafzimmers auf und zog mich zur Treppe. Ich hielt den Atem an, um den dichten Rauch nicht in die Lunge zu bekommen. Das Feuer donnerte um uns herum. Halb blind vom Rauch stolperten wir die Treppenstufen hinunter. Peter tastete sich zur Haustür, ohne meinen Arm loszulassen. Ich war außer mir vor Angst. Peter lockerte seinen Griff um meinen Arm einen Moment, um die schwere Tür aufzubekommen. Als sie sich endlich quietschend und widerwillig öffnen ließ, packte er mich erneut und zog mich in die frische Luft. Mir war ganz weich in den Knien, und er musste mich fast zum Auto tragen. Glücklicherweise hatten wir es nicht abgeschlossen. Peter setzte mich auf den Beifahrersitz und lief dann um das Auto herum zur Fahrerseite. Keuchend ließ er sich hinter das Lenkrad fallen und startete durch. Routiniert brauste er rückwärts zwischen den beiden Torpfosten aus Stein hindurch. Dann hielt er an. Er ließ den Motor laufen. Die Scheinwerfer waren an.
    »Schau«, sagte er und deutete auf die Tür.
    Ich sah sie auch. In der Türöffnung stand sie als schwarze Silhouette vor den tanzenden Flammen.
    »Verdammt! Wir müssen sie retten!«, sagte ich mit rauer Stimme.
    »Nein. Die ist nicht mehr zu retten«, erwiderte Peter kurz.
    Noch nie hatte ich seine Stimme so kalt und hart gehört. Ich bekam Angst, und der Schock holte mich ein. Tränen liefen mir über die Wangen, aber ich bemerkte trotzdem, dass die Uhr des Armaturenbretts immer noch auf Viertel nach zwölf stand.
     
    Schließlich gelang es uns, am Stadtrand von North Berwick ein Motel zu finden. Der freundliche Nachtportier besorgte belegte Brote und kochte uns eine Kanne Tee. Ehe er uns allein ließ, zog er noch zwei Miniaturflaschen Whisky aus seiner Jackentasche.
    »Gießen Sie das in den Tee. Sie sehen so aus, als könnten Sie es gebrauchen«, sagte er und verschwand auf den Korridor.
    Wir folgten seinem Vorschlag. Erst nachdem wir die Brote gegessen und den Tee getrunken hatten, fragte ich Peter: »Was hast du eigentlich damit gemeint, dass die Frau nicht mehr zu retten sei?«
    Er schwieg lange, bis er antwortete: »Ist dir aufgefallen, dass es gar nicht nach einem Feuer gerochen hat? Und wo war die Hitze?«
    Erst war ich vollkommen sprachlos. Dann stammelte ich: »Aber der Rauch… Es brannte doch!«
    »Das haben wir gesehen. Aber hast du irgendeinen Brandgeruch wahrgenommen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich habe den Atem angehalten.«
    »Hast du irgendeine Wärme von dem Feuer gespürt?«
    Als ich nachdachte, musste ich ihm Recht geben.
    »Nein. Das Feuer war nicht warm. Und als ich auf die Uhr sah, war überhaupt keine Zeit vergangen. Aber wir waren doch in diesem Haus und haben uns hingelegt und eine Weile geschlafen! Was ist eigentlich passiert?«
    »Keine Ahnung. Wir müssen erst mal schlafen und dann versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Außerdem habe ich meinen Anorak dort vergessen.«
    Merkwürdigerweise schliefen wir beide direkt ein. Wahrscheinlich hatten wir das dem Whisky zu verdanken.
    Nach dem Frühstück fuhren wir zum Polizeipräsidium im Zentrum der Stadt. Wir meldeten uns am Empfang an, mussten eine Viertelstunde warten und wurden dann in ein enges und sehr verqualmtes Büro geführt. Dort saßen wir eine weitere Viertelstunde, bis ein Polizist in Uniform eintrat. Sein hochrotes Gesicht kontrastierte mit seinem grauen Seehundsschnurrbart und dem weißen Haarkranz, der seine Glatze umgab. Er gab uns die Hand und stellte sich als Inspector McArnold vor. Dann setzte er sich schwer atmend. Sein Bürostuhl knarrte bedrohlich unter seinem Gewicht, hielt aber zu meiner Erleichterung stand.
    Ruhig und sachlich erzählte Peter, was wir in der Nacht erlebt hatten. Dann meinte er noch: »Ehrlich gesagt sind wir etwas verwirrt. Die Müdigkeit, der Hunger, die Tatsache, dass wir uns verfahren hatten… alles war so… unwirklich. Aber wir wollten

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