Die Frau im Fahrstuhl
habe ich mich entschlossen, meinem Gemälde ein neues Zuhause zu geben. Sie beide gefallen mir. Es ist richtig, dass Sie dieses Gemälde bekommen. Wenn ich gefunden hätte, dass Sie ungeeignet sind, hätte ich gesagt, das Gemälde sei bereits verkauft.«
Sie lächelte uns an, und ihre kleinen hellblauen Augen funkelten verschmitzt.
Feierlich hielt sie das Gemälde vor sich in die Luft. Sie lächelte es an und sagte laut: »Lebe wohl, Anna-Bell.«
Da konnte ich nicht länger an mich halten: »Wer ist die Frau auf dem Bild?«
»Meine Cousine Anna-Bell. Sie war die letzte Erbin des Wirtshauses.«
»Des Wirtshauses! Da wohnen wir ja! Ich meine, wir haben uns dort eingemietet«, erwiderte ich eifrig.
Gunhild sah uns nachdenklich an. Umständlich packte sie das Gemälde ein. Währenddessen erzählte sie von Anna-Bell.
»Meine Mutter war die Schwester von Anna-Bells Vater. Ihre Vorfahren hatten hier in Ljugarn seit dem 18. Jahrhundert ein Wirtshaus betrieben. Mein Vater war Stockholmer und viel älter als meine Mutter, außerdem recht vermögend. Sie kauften diese Kate und benutzten sie als Sommerhaus. Jeden Sommer verbrachten wir die Ferien in Ljugarn. Ich habe noch ein kleineres Haus in Strandnähe, in dem ich im Sommer wohne. Dieses Haus ist seit den sechziger Jahren Galerie.«
Sie verstummte und nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas.
»Wir kamen jeden Sommer, nicht zuletzt wegen Anna-Bell. Meine Cousine und ich waren gleich alt. Wir hatten beide keine anderen Geschwister, und deswegen waren wir so etwas wie Schwestern. Im Winter schrieben wir uns lange Briefe, und im Sommer waren wir unzertrennlich. Als wir älter waren, durften wir Anna-Bells Eltern im Wirtshaus helfen. Es war klar, dass Anna-Bell den Gasthof einmal übernehmen würde, obwohl sie ein Mädchen war. Ich bekam es nicht in meinen Kopf, warum sie sich hier in Ljugarn an dieses Haus ketten ließ, aber sie wollte es nicht anders. Das Wirtshaus weiter zu betreiben war ihr einziger Wunsch und Ehrgeiz. Natürlich hätten es ihre Eltern gern gesehen, wenn sie geheiratet und Kinder bekommen hätte.
Schließlich musste es eine neue Generation geben, die das Erbe Anna-Bells antreten konnte.«
Das Letzte sagte sie mit einer gewissen Bitterkeit.
»In der Liebe hatte Anna-Bell kein Glück, obwohl sie fröhlich und hübsch war. Ihr erster Mann ließ sie für eine reiche Großhändlerstochter sitzen. Deswegen war sie auch schon achtundzwanzig, als sie Hjalmar Nilsson begegnete. Er war Kapitän und unglaublich gut aussehend. Am Silvesterabend verlobten sie sich. Sie wollten an Mittsommer heiraten. Aber so kam es nicht.«
Gunhilds Stimme klang jetzt nicht mehr bitter, sondern eher traurig.
»Kurz vor Ostern wurde Anna-Bell richtig krank. Niemand wusste, was ihr fehlte. Schließlich stellte ein Arzt in Visby fest, dass sie Krebs hatte. In ihren letzten Tagen hatte sie fürchterliche Schmerzen. Sie starb am Mittsommerabend, an ihrem vorgesehenen Hochzeitstag. Das Gemälde entstand Anfang Juni. Natürlich sah sie da schon nicht mehr so aus wie auf dem Bild. Aber ich wollte mich so an sie erinnern, wie sie ausgesehen hatte, als sie noch gesund gewesen war. Anna-Bell liebte das Gemälde, und es hing über ihrem Bett, als sie starb. Ich habe es… anschließend zurückgenommen.«
Sie verstummte und schluckte deutlich hörbar. Ungeschickt riss sie den letzten Klebestreifen für das Paket ab. Dann reichte sie es mir mit zitternden Händen.
»Geben Sie Anna-Bell ein gutes Zuhause. Das Gemälde ist das letzte Andenken an sie, das ich besitze.«
Ich erwachte davon, dass jemand meine Schulter berührte. Als ich die Augen aufschlug, sah ich die Umrisse einer Gestalt an meinem Bett. Bald erkannte ich jedoch die Frau vom Porträt wieder. Anna-Bell. Doch ich hatte keine Angst. Es war fast so, als hätte ich erwartet, sie zu treffen. Sie setzte sich auf meine Bettkante und begann zu sprechen: »Ich wollte euch nicht erschrecken, aber ich hatte solche Schmerzen. Jede Nacht ging ich in der Diele auf und ab. Die Schmerzen hielten mich wach. Und die Gedanken. An meinen Verlobten… und an meine armen Eltern. Sie mussten das Wirtshaus verkaufen. Nichts kam so wie gedacht.«
Endlich gehorchte mir meine Zunge wieder, und ich murmelte: »Aber es war doch nicht deine Schuld, dass du krank wurdest und… starbst.«
Aber meine Worte verklangen in der Dunkelheit. Sie war nicht mehr da.
Im Frühjahr darauf sah ich in der Zeitung, dass Gunhild Berg verstorben war. Offenbar war
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