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Die Frau im Kühlschrank

Die Frau im Kühlschrank

Titel: Die Frau im Kühlschrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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hinwegtäuschen, daß die Büste für eine Frau von völlig anderen Ausmaßen gedacht war.
    Das Gesicht wurde beherrscht durch die Augen. Sie waren dunkel, stechend und neugierig. Mit einem raschen Blick hatte sie mich wahrscheinlich sowohl einer Kategorie zugeordnet, als auch zum späteren Gebrauch archiviert. Der kleine Mund bewegte sich fast unmerklich, als würde sie den Wortlaut meiner zukünftigen Beschreibung repetieren und strahlte dabei einen merkwürdigen Eifer aus, der mich an einen kleinen Nager denken ließ. Das Haar war dunkelblond und hochgesteckt. Die Haut im Gesicht war fahl und trocken, und als sie sich schnell in die Unterlippe biß, sah ich, daß die Zähne die gleiche, gelbweiße Färbung hatten.
    »Frau Eliassen?« fragte ich vorsichtig.
    Sie nickte kurz.
    »Meine Name ist Veum. Ich komme aus Bergen. Es geht um Arne Samuelsen.«
    »Haben Sie die Miete dabei?« kläffte sie. »Er hat sich noch nich sehen lassen, und es is mehrere Tage über …«
    »Da wird sich schon eine Regelung finden«, sagte ich höflich. »Wenn ich nur einen Blick in …«
    »Sind Sie von der Polizei? Wird er etwa gesucht?«
    »Nein, nein. Ich bin – ein Freund der Familie. Ich mußte sowieso in diese Gegend, und seine Mutter hat mich gebeten, hier vorbeizugehen und zu sehen, ob ich herausfinden könnte, wo er sich aufhält. Sie – macht sich Sorgen – wie Sie vielleicht verstehen.«
    »Ja, Sorgen. Und ich, ich mach mir Sorgen um meine Miete!« Sie klimperte mit dem Schlüsselbund in einer der Schürzentaschen und sah mich mit abschätzendem Blick an, als taxiere sie den Inhalt meiner Brieftasche.
    »Wenn ich mich nur ein bißchen in seiner Wohnung umsehen könnte, dann …«
    »Ja, ich komm mit«, sagte sie bestimmt. »Nich deswegen – ich hab schon nachgeguckt. Die Mutter bat mich am Telefon drum – aber da is nichts. Man könnte meinen, es wohnt überhaupt niemand da!« Sie warf einen raschen Blick in ihre Wohnung. Dann schloß sie die Tür hinter sich und rüttelte daran, um sicherzugehen, daß sie verschlossen war. »Es is im ersten Stock«, sagte sie und trat auf die Treppe.
    »Er wohnt hier nur, wenn er nicht auf der Plattform ist, oder?«
    »Jaja. Ich hab es so am liebsten, dann hat man nich so viel zu tun mit den Mietern. Sie bezahlen ihre Miete, aber sind selten da. Und wenn es Ärger gibt, dann fliegen sie raus. Ich laß mir keine Sperenzchen gefallen.«
    Sie kam außer Atem; ob es an der Treppe oder an ihrer Redeflut lag, war schwer zu sagen.
    »Also gab es keinen Ärger mit – Samuelsen?«
    »Nee.« Das Wort kam gedehnt. »Nich bis … Er war ein ordentlicher und höflicher Junge, gab nie Ärger mit ihm. Er war auch meistens allein und abends viel unterwegs. Kam immer allein nach Hause, bis …«
    »Bis …?«
    Sie blieb auf dem Absatz im ersten Stock stehen. Sie holte das Schlüsselbund hervor und suchte es durch. Dann fand sie den richtigen Schlüssel, steckte ihn ins Schloß und drehte ihn herum. Sie blieb in der Türöffnung stehen. »Nee, nich bis vor ein paar Tagen abends. Da war plötzlich ein Höllenspektakel bis spät in die Nacht. Jedenfalls is jetzt Schluß. Ich war oben, um es ihm zu sagen, schon am Tag danach. Aber er machte nich auf. Ich dachte, es wär ihm peinlich, und ich behielt die Tür im Auge. Ich hör es immer, wenn jemand auf der Treppe is. Aber er – er muß wohl nachts weggegangen sein, in der Nacht – da war so viel hin und her, und ich konnte nich alles mitkriegen. Weil danach, da – ja, da is er nich mehr hiergewesen. Und mir soll’s egal sein, denn raus soll er, aber nich eher, als – die Miete gezahlt is.« Sie sah mich mit schmalem Mund und entschlossenem Blick an.
    »Ich werd mich darum kümmern«, sagte ich und griff in die Innentasche meines Mantels, wie um Geld herauszuholen, aber ohne die Handlung auszuführen. Das war ein Kniff, den ich von ein paar meiner Klienten gelernt hatte, und er hatte sich als effektiv erwiesen. Für sie.
    »Na ja«, sagte Frau Eliassen, gab die Tür frei und ging voraus in die Wohnung.
    Wir kamen direkt ins Wohnzimmer. Es erinnerte mich an mein eigenes. Zwei schmale Fenster zur Straße hin, und durch ein kleines Erkerfenster sah man auf das Nachbarhaus, zu dem der Abstand nur anderthalb Meter betrug: eine graugrüne, fensterlose Holzfassade.
    »Ja, es is nich gerade groß, aber es reicht doch gut für eine – Einzelperson«, sagte Frau Eliassen hastig, als würde sie mir die Wohnung anbieten.
    Die Möblierung war auch nichts Besonderes:

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