Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Noch ein Merkel-Buch?
Ein Buch über Angela Merkel? Noch eins? Aber bitte schön, könnte man antworten, das ist ja wohl unvermeidlich. Immerhin ist die Dame die deutsche Bundeskanzlerin, stellt sich im Herbst 2013 nach acht Jahren im Amt wieder zur Wahl, regiert die Republik womöglich noch einmal vier Jahre lang. Ehrlich, da ist schon deutlich Dünneres zwischen zwei Buchdeckel gepackt worden. Andererseits: Seit ihrem politischen Beginn zur Wendezeit entstanden über Angela Merkel eine lange Reihe von Analysen, Porträts, Nahaufnahmen. Und es stimmt: Wiederholungen gefallen nicht. Dass Verlage an Autoren herantreten und sagen: »Machen Sie mal, Sie kennen die Kanzlerin doch«, wird keinem Leser reichen. So denken halt Verlage (und Autoren selbstverständlich auch).
Was für einen Grund gibt es dann? Die Antwort ist: Es gibt nicht den einen Grund. Es gibt viele. So viele, wie es offene Fragen gibt. Und »Angela Merkel« ist in Wahrheit ein anderes Wort für »offene Fragen«.
Denn das wertungsfrei Faszinierende, das Geheimnisvolle an dieser Frau ist: Dass man immer noch nicht schlau wird aus ihr, auch nach Jahren auf dem Präsentierteller im Kanzleramt nicht. Dass es gerade auf die (vermeintlich) einfachen Fragen keine wirklich befriedigende Antwort zu geben scheint, die man mit dem Weinglas in der Hand auf einer Party lässig zum Besten geben könnte – und alle Umstehenden nicken beeindruckt: Ah, so ist das, na klar. Dabei mangelt es nicht an Groß-Thesen. Allein der Spiegel hat die meisten schon einmal durch: »Kanzlerin ohne Volk«, »Die halbe Kanzlerin«, »Die Herrin auf Schloss Ungefähr«, »Angela Mutlos«. Wohl wahr, die Kollegen hatten es nicht leicht in den Jahren, wo alle sechs Monate eine neue These hermusste, ein neuer General-Schlüssel zum Enigma namens Angela.
Wer aber ständig nach einer Erklärung sucht, die noch origineller ist als die vorhergehende, der verliert den Blick für den geraden Weg ins Ziel. Der geht so: Der rote Faden von Angela Merkels Regieren ist – das Regieren. Was sie macht, wie, wann oder warum, das lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Diese Kanzlerin kann Krise. Kreativ kann sie nicht. Das Operative beherrscht sie wie keine zweite. Beim Programmatischen ist sie zweite Wahl. Ihre politische Marke kristallisiert sich nicht an ihren politischen Vorstellungen, sondern an ihrem politischen Vorgehen. Deshalb nennen sie die einen präsidial und die anderen opportunistisch. Und deshalb ist sie so beliebt.
»Es ist nicht leicht, Angela Merkel zu charakterisieren«, schrieb einmal der Schweizer Thesen-Publizist Roger Köppel kleinlaut über die Kanzlerin. »Es fehlt das Archetypische. Man wüsste nicht, welche Rolle ihr in einem Shakespeare-Drama zukäme.« Wirklich? Ich meine: Angela Merkel ist eine Zauder-Künstlerin. Sie hat eine eigentlich negativ besetzte Charaktereigenschaft, das Zaudern, zur regierungsamtlichen Stilform gemacht wie keiner ihrer Vorgänger. Das hat im Alltag nicht selten einen Preis, aber den zahlt sie. Sie hat ihre persönliche Eigenart zu einer politischen Kunstfertigkeit entwickelt, die vielen Deutschen offenbar eingeht und behagt – den gar nicht kleinen Rest aber enttäuscht oder blutrot empört. Das sollte für eine Shakespeare-Rolle reichen.
Wie zum Beweis hat auch nicht Angela Merkel das Thema ihrer Kanzlerschaft gefunden. Das Thema hat sie gefunden: der Euro und seine Rettung; Europa und der Neubau; Deutschland und die neue Rolle, die es darin spielen will – oder muss. Eher Leitplanken als ferne Leuchttürme weisen ihr dabei den Weg. Und wenn Politik notwendigerweise eine Menge von »trial and error« hat, dann ist Angela Merkel die Allerletzte, die damit hadert. Versuch und Irrtum hat sie als Physikerin verinnerlicht, ebenso wie die simple Regel, dass das Labor hinterher nicht komplett in Trümmern liegen darf, wenn ein Versuch daneben geht. Das beschreibt exakt ihr Vorgehen in der Euro-Krise: »Jeder einzelne Schritt muss in seinen Folgen beherrschbar bleiben«, sagt sie. Und zwar gerade dann, wenn er der falsche war.
Von Herfried Münkler stammt ein Aufsatz, der Angela Merkel tief beeindruckt hat. Darin unterscheidet Münkler zwischen »Optimum« und »Maximum« und stellt die Frage, woran Politiker oder ihr Handeln sinnvollerweise zu messen seien: Am Maximum, also daran, ob ein gesetztes, objektiv wünschenswertes Ziel zu hundert Prozent erreicht wird? Oder am Optimum, also daran, wie viel vom Möglichen ein Politiker im
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