Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
und Kindern verdankt ehemännlichen, beziehungsweise elterlichen Geschlechtskrankheiten seinen Ursprung. In einer Petition, die der Verein Jugendschutz im Herbst 1899 an den Reichstag richtete, wird angegeben, daß in Deutschland zirka 30.000 Kinder infolge von Ansteckung durch Gonorrhöe (Tripper) von Geburt erblindet seien und daß bei 50 Prozent der kinderlosen Ehefrauen dieselbe Ursache ihre Unfruchtbarkeit verschuldete . Tatsächlich ist es erschreckend, wie groß die Zahl der kinderlosen Ehen ist, und dieselben nehmen zu. Auch schwachsinnige oder blödsinnige Kinder haben häufig ihr Gebrechen derselben Ursache zuzuschreiben, und was für Unheil durch ein winziges Tröpfchen syphilitischen Blutes bei der Pockenimpfung angerichtet werden kann, dafür gibt es krasse Beispiele.
Die große Zahl der an Geschlechtskrankheiten Leidenden hat wiederholt Anregungen veranlaßt, ein Reichsgesetz zu erlassen, das speziell die Behandlung Geschlechtskranker vorschreibt. Bis jetzt hat man sich zu einem solchen Schritte noch nicht entschließen können, wahrscheinlich aus Furcht vor der Größe der dann zutage tretenden Übel. In den fachmännischen Kreisen ist man allgemein zu der Überzeugung gekommen, daß der früher als harmlos angesehene Tripper mit die gefährlichste Krankheitserscheinung ist. Scheinbar geheilt wirkt derselbe im menschlichen Körper fort, so daß, wie Dr. Blaschko in einem Vortrag in Berlin am 20. Februar 1898 mitteilte, bei den sittenpolizeilichen Untersuchungen in Berlin nur ein Viertel bis höchstens ein Drittel der tripperkranken Prostituierten als solche erkannt werden. Tatsächlich ist aber der weitaus überwiegende Teil der Prostituierten tripperkrank, was also bei der Kontrolle nur bei einem kleinen Bruchteil festgestellt wird. Und da von diesem letzteren wiederum nur ein kleiner Teil geheilt wird, so befindet sich die Gesellschaft hier einem Übel gegenüber, für das sie vorläufig kein Heilmittel hat, das aber namentlich den weiblichen Teil der Bevölkerung mit schweren Gefahren bedroht.
3. Der Mädchenhandel
In dem Maße, wie die Männerwelt, freiwillig oder gezwungen, auf die Ehe verzichtet und die Befriedigung des Geschlechtstriebs in der Wildnis sucht, in dem Maße steigen auch die verführerischen Gelegenheiten dazu. Der große Gewinn, den alle auf die Unsittlichkeit berechneten Unternehmungen abwerfen, lockt zahlreiche, nicht skrupulöse Geschäftsleute an, mit Aufbietung allen Raffinements die Kunden anzulocken. Da wird jedem Bedürfnis der Kundschaft nach Rang und Stellung, jeder materiellen Leistungs- und Opferfähigkeit Rechnung getragen. Könnten die "öffentlichen Häuser" ihre Geheimnisse ausplaudern, es zeigte sich, daß ihre Bewohnerinnen, die oft ohne Herkunft und ohne höhere Bildung und Erziehung sind, aber um so größere körperliche Reize besitzen, in den intimsten Beziehungen mit Spitzen der Gesellschaft, mit Männern von hoher Intelligenz und Bildung stehen. Da gehen Minister, hohe Militärs, Geheimräte, Volksvertreter, Richter usw. neben den Repräsentanten der Geburts-, Finanz-, Handels- und Industriearistokratie aus und ein, Männer, die am Tage und in der Gesellschaft als "Vertreter und Wächter von Moral, Ordnung, Ehe und Familie" gar würdevoll und ernst einherschreiten und an der Spitze christlicher Wohltätigkeitsanstalten und Vereinen zur "Unterdrückung der Prostitution" stehen. Der Inhaber eines dieser der Gelegenheitsmacherei dienenden Lokale in der ...straße in Berlin gibt sogar ein eigens illustriertes Blatt heraus, in dem das Treiben der dort verkehrenden Gesellschaft geschildert wird. Das Lokal verfügt über 400 Sitzplätze, in dem allabendlich ein elegantes Publikum, das als Stammpublikum – wie es in dem Blatte heißt – der höchsten Geburts- und Finanzaristokratie angehört, verkehrt. Der Trubel und Jubel nehme geradezu beängstigende Dimensionen an, wenn, wie fast täglich, zahlreiche Damen der Theaterwelt und bekannte Beautés der Lebewelt anwesend sind und wenn die findige Direktion, um der Heiterkeit die Krone aufzusetzen, in vorgerückter Morgenstunde ein Aalgreifen veranstaltet.... Rings um das Bassin herum kauern mit hochgeschürzten Kleidern die schönen Besucherinnen der Bar und haschen nach dem Aal. Und so weiter. Die Polizei kennt dieses Treiben genau, aber sie hütet sich, die vornehme Gesellschaft in ihren Vergnügungen zu stören. Nichts als Kuppelei gemeinster Art ist es auch, wenn ein Berliner Balletablissement
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