Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Industrielle hat nur zu sorgen, daß ihn nicht das Auge der Polizei entdeckt, und er kann sein schändliches Gewerbe betreiben in der Gewißheit, wegen des Geldes, das er dabei verdient, von der Gesellschaft beneidet und mit Hochachtung angesehen zu werden.
Den Mammoncharakter unseres Zeitalters charakterisiert am deutlichsten die Börse und ihr Treiben. Grund und Boden und Industrieprodukte, Verkehrsmittel, Witterungs- und politische Verhältnisse, Mangel und Überfluß, Massenelend und Unglücksfälle, öffentliche Schulden, Erfindungen und Entdeckungen, Gesundheit oder Krankheit und Tod einflußreicher Personen, Krieg und Kriegsgeschrei, oft nur zu diesem Zwecke erfunden, dies alles und noch vieles andere wird zum Gegenstand der Spekulation gemacht und zur Ausbeutung und gegenseitigen Prellerei benutzt. Die Kapitalmatadore erlangen den entscheidendsten Einfluß auf das Befinden der ganzen Gesellschaft und häufen, begünstigt durch ihre mächtigen Mittel und Verbindungen, die ungeheuersten Reichtümer auf. Minister und Regierungen werden in ihren Händen zu Puppen, die agieren müssen, wie die Börsenmatadore hinter den Kulissen die Drähte ziehen. Die Staatsgewalt hat nicht die Börse, die Börse hat die Staatsgewalt in der Hand. Wider Willen muß der Minister den "Giftbaum" düngen, den er am liebsten ausreißen möchte, und muß neue Lebenskräfte ihm zuführen.
Alle diese Tatsachen, die täglich mehr sich jedem aufdrängen, weil die Übel sich täglich vergrößern, fordern baldige und gründliche Abhilfe. Aber die Gesellschaft steht ratlos vor allen diesen Übeln, wie gewisse Tiere am Berge; sie dreht sich wie ein Pferd in der Tretmühle beständig im Kreise, ratlos, hilflos, ein Bild des Jammers und der Stupidität. Die helfen möchten, sind noch zu schwach; denen, die mithelfen sollten, fehlt noch die Einsicht; die helfen könnten, wollen nicht; sie verlassen sich auf die Gewalt und denken günstigstenfalls mit Madame Pompadour: Après nous le déluge (nach uns die Sintflut). Aber wenn noch zu ihren Lebzeiten die Sintflut kommt? –
Vierter Abschnitt - Die Sozialisierung der Gesellschaft
Zwanzigstes Kapitel - Die soziale Revolution
1. Die Umgestaltung der Gesellschaft
Die Flut steigt und unterspült das Fundament, auf dem unser Staats- und Gesellschaftsbau ruht. Alle Welt fühlt, daß die Fundamente wanken und nur noch kräftige Stützen retten können. Aber das erfordert große Opfer, welche die herrschenden Klassen bringen müßten. Da liegt aber das Hindernis. Jeder Vorschlag, dessen Verwirklichung ernsthaft die materiellen Interessen der herrschenden Klassen schädigt und ihre bevorrechtete Stellung in Frage zu stellen droht, wird von ihnen grimmig bekämpft und als eine auf den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebung gebrandmarkt. Die kranke Welt ist aber nicht zu kurieren, ohne daß die Privilegien und Vorrechte der herrschenden Klassen in Frage gestellt und schließlich beseitigt werden.
"Der Kampf um die Befreiung der arbeitenden Klassen ist kein Kampf um Vorrechte, sondern ein Kampf um gleiche Rechte und gleiche Pflichten und für die Beseitigung aller Vorrechte", heißt es im sozialdemokratischen Programm. Daraus ergibt sich, daß mit halben Maßregeln und kleinen Konzessionen nichts getan ist.
Die herrschenden Klassen betrachten aber ihre bevorrechtete Stellung als eine durchaus naturgemäße und selbstverständliche, an deren Berechtigung und Fortbestand man nicht zweifeln dürfe, und so ist es wieder selbstverständlich, daß sie jeden Versuch, ihre Vorrechtsstellung zu erschüttern, zurückweisen und bekämpfen. Selbst Vorschläge und Gesetze, die weder an den Grundlagen der bestehenden Gesellschaftsordnung noch an ihrer Vorrechtstellung etwas ändern, bringen sie in die größte Aufregung, sobald nur ihr Geldbeutel in Anspruch genommen wird oder in Anspruch genommen werden könnte. In den Parlamenten werden ganze Berge Papier mit Reden bedruckt, bis endlich der kreißende Berg ein Mäuslein gebiert. Den selbstverständlichsten Forderungen des Arbeiterschutzes begegnet man mit einem Widerstand, als hinge davon die Existenz der Gesellschaft ab. Und werden nach unendlichen Kämpfen ihnen einige Konzessionen abgerungen, dann gebärden sie sich, als hätten sie einen großen Teil ihres Vermögens geopfert. Denselben hartnäckigen Widerstand zeigen sie, handelt es sich darum, die unterdrückten Klassen als formell
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