Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
interessante Tatsachen hervor. Steht die Paarungsfamilie der Irokesen mit den von ihnen gebrauchten Verwandtschaftsbezeichnungen in unlöslichem Widerspruch, so stellte sich dagegen heraus, daß noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auf den Sandwichinseln (Hawaii) eine Familienbildung vorhanden war, die tatsächlich dem Verwandtschaftssystem entsprach, das bei den Irokesen nur dem Namen nach noch bestand. Aber das Verwandtschaftssystem, das in Hawaii in Geltung war, entsprach wiederum nicht der dort tatsächlich bestehenden Familienform, sondern wies auf eine ältere, noch ursprünglichere, aber nicht mehr vorhandene Familienform hin. Dort galten alle Geschwisterkinder ohne Ausnahme als Brüder und Schwestern, sie galten als solche nicht nur für die gemeinsamen Kinder ihrer Mütter und deren Schwestern, oder ihres Vaters und dessen Brüder, sondern für alle Geschwister ihrer Eltern ohne Unterschied.
Das hawaiische Verwandtschaftssystem entsprach also einer Entwicklungsstufe, die noch tiefer stand als die tatsächlich bestehende Familienform. Es stellte sich das Eigentümliche heraus, daß in Hawaii wie bei den Indianern Nordamerikas zwei verschiedene Verwandtschaftssysteme in Übung waren, die dem tatsächlichen Zustand nicht mehr entsprachen, sondern durch eine höhere Form überholt wurden. Morgan äußert sich darüber also: "Die Familie ist das aktive Element; sie ist nie stationär, sondern schreitet vor von einer niedrigeren zu einer höheren Form, in dem Maße, wie die Gesellschaft von niederer zu höherer Stufe sich entwickelt . Die Verwandtschaftssysteme dagegen sind passiv; nur in langen Zwischenräumen registrieren sie die Fortschritte, die die Familie im Laufe der Zeit gemacht hat, und erfahren nur dann radikale Änderung, wenn die Familie sich radikal verändert hat."
Die noch heute allgemein maßgebende Auffassung, die von Vertretern des Bestehenden hartnäckig als wahr und unumstößlich verfochten wird, die jetzt bestehende Familienform habe von uralter Zeit an bestanden und müsse, solle die gesamte Kultur nicht gefährdet werden, für immer fortbestehen, stellt sich also nach diesen Entdeckungen der Forscher als durchaus falsch und unhaltbar heraus. Das Studium der Urgeschichte läßt keinen Zweifel mehr, daß auf den untersten Entwicklungsstufen der Menschheit das Verhältnis der Geschlechter von dem der späteren Zeit ein gänzlich verschiedenes ist und Zustände sich herausbildeten, die, mit den Augen unserer Zeit betrachtet, als eine Ungeheuerlichkeit und als der Pfuhl der Sittenlosigkeit erscheinen. Doch wie jede soziale Entwicklungsstufe der Menschheit ihre eigenen Produktionsbedingungen, so hat auch jede ihren Moralkodex, der nur das Spiegelbild ihres Sozialzustandes ist . Sittlich ist, was Sitte ist, und Sitte ist wieder nur, was dem innersten Wesen, das heißt den sozialen Bedürfnissen einer bestimmten Periode entspricht.
Morgan gelangt zu dem Schlusse, daß auf der Unterstufe der Wildheit ein Geschlechtsverkehr innerhalb der Geschlechtsverbände herrschte, bei dem jede Frau jedem Manne und jeder Mann jeder Frau gehörte, bei dem also allgemeine Vermischung (Promiskuität) vorhanden war. Es leben alle Männer in Vielweiberei und alle Weiber in Vielmännerei. Es besteht allgemeine Frauen- und Männergemeinschaft, aber auch Gemeinschaft der Kinder. Strabo berichtet (66 vor unserer Zeitrechnung), daß bei den Arabern die Brüder den Beischlaf bei der Schwester und der eigenen Mutter vollzogen. Anders als auf dem Wege des Inzestes ist uranfänglich die Vermehrung der Menschen nirgend möglich, namentlich wenn, wie in der Bibel, die Abstammung von einem Menschenpaar angenommen wird. Die Bibel widerspricht sich selbst in diesem heiklen Punkte; sie erzählt, daß Kain, nachdem er seinen Bruder Abel erschlagen hatte, von dem Angesicht des Herrn ging und im Lande Nod wohnte. Dort erkannte er sein Weib, die schwanger ward und ihm einen Sohn gebar. Aber woher stammte sein Weib? Waren doch Kains Eltern die ersten Menschen. Nach der jüdischen Tradition wurden Kain und Abel auch zwei Schwestern geboren, mit denen sie im Inzest Kinder zeugten. Die christlichen Bibelübersetzer scheinen diese ihnen fatale Tatsache unterdrückt zu haben. Für die Promiskuität in der Urzeit, das heißt, daß die Horde endogam, der Geschlechtsverkehr darin unterschiedslos war, spricht auch, daß nach der indischen Mythe sich Brahma mit seiner eigenen Tochter Saravasti vermählte; der gleiche
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