Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Ehegenossen zusammenhält.
Der Umstand nun, daß die gegen früher viel zahlreicher geschlossenen Ehen eine rasche Bevölkerungszunahme bewirkten und das unter der neuen Ära sich riesenhaft entwickelnde Industriesystem viele früher nicht gekannte soziale Übelstände schuf, rief ähnlich wie in früheren Perioden wieder die Angst vor Übervölkerung hervor. Es wird sich zeigen, was diese Furcht vor Übervölkerung zu bedeuten hat; wir werden sie auf ihren wahren Wert zurückführen.
Zweiter Abschnitt - Die Frau in der Gegenwart
Siebentes Kapitel - Die Frau als Geschlechtswesen
1. Der Geschlechtstrieb
In der bürgerlichen Welt rangiert die Frau an zweiter Stelle. Erst kommt der Mann, dann sie. Es besteht also fast das umgekehrte Verhältnis wie im Zeitalter der Mutterfolge. Die Entwicklung vom primitiven Kommunismus zur Herrschaft des Privateigentums hat in erster Linie diese Umwandlung herbeigeführt.
Plato dankte den Göttern für acht Wohltaten, die sie ihm erwiesen hätten. Als die erste Wohltat betrachtete er, daß sie ihn als Freien und nicht als Sklaven geboren sein ließen, aber die zweite war, daß er als Mann und nicht als Frau geboren wurde. Ein ähnlicher Gedanke spricht sich im Morgengebet der Judenmänner aus. Diese beten: "Gelobt seist du Gott unser Herr und Herr aller Welt, der mich nicht zu einem Weibe gemacht hat. " Dagegen beten die Judenfrauen an der entsprechenden Stelle: ".. . der mich nach seinem Willen geschaffen hat. " Der Gegensatz in der Stellung der Geschlechter kann nicht schärfer zum Ausdruck kommen, als es im Ausspruch Platos und im Gebet der Juden geschieht. Der Mann ist der eigentliche Mensch nach zahlreichen Stellen in der Bibel, wie nach der englischen und französischen Sprache, in der für Mann und Mensch das gleiche Wort vorhanden ist. Auch wenn wir vom Volke sprechen, denken wir in der Regel nur an die Männer. Die Frau ist eine vernachlässigte Größe und auf alle Fälle der Mann ihr Gebieter. Das findet die Männerwelt in der Ordnung und die Mehrheit der Frauenwelt nimmt es bis jetzt als unabweisbare Schickung hin. In dieser Auffassung widerspiegelt sich die Lage des weiblichen Geschlechts.
Ganz unabhängig von der Frage, ob die Frau als Proletarierin unterdrückt ist, sie ist es in der Welt des Privateigentums als Geschlechtswesen. Eine Menge Hemmnisse und Hindernisse, die der Mann nicht kennt, bestehen für sie auf Schritt und Tritt. Vieles, was dem Mann erlaubt ist, ist ihr untersagt; eine Menge gesellschaftlicher Rechte und Freiheiten, die jener genießt, sind, wenn von ihr ausgeübt, ein Fehler oder ein Verbrechen. Sie leidet als soziales und als Geschlechtswesen. Es ist schwer zu sagen, in welcher von beiden Beziehungen sie am meisten leidet. und daher ist der Wunsch vieler Frauen begreiflich, daß sie möchten als Mann und nicht als Weib geboren worden sein.
Unter allen Naturtrieben, die der Mensch besitzt, ist nächst dem Trieb zu essen, um zu leben, der Geschlechtstrieb der stärkste. Der Trieb, die Gattung fortzupflanzen, ist der potenzierteste Ausdruck des "Willens zum Leben". Dieser Trieb ist jedem normal entwickelten Menschen tief eingepflanzt, und nach erlangter Reife ist die Befriedigung desselben eine wesentliche Bedingung für seine physische und geistige Gesundheit. Luther hat recht, wenn er sagt: "Wer nun dem Naturtrieb wehren will und nicht lassen gehen, wie Natur will und muß, was tut er anders, denn er will wehren, daß Natur nicht Natur sei, daß Feuer nicht brenne, Wasser nicht netze, der Mensch nicht esse, noch trinke, noch schlafe." Diese Worte sollte man in Stein über die Türen unserer Kirchen meißeln, in welchen so eifrig gegen das "sündhafte Fleisch" gepredigt wird. Treffender kann kein Arzt und Physiologe die Notwendigkeit der Befriedigung des Liebesbedürfnisses im Menschen bezeichnen.
Es ist ein Gebot des Menschen gegen sich selbst, das er erfüllen muß, will er in normaler und gesunder Weise sich entwickeln, daß er kein Glied seines Körpers in der Übung vernachlässigt und keinem natürlichen Trieb seine normale Befriedigung versagt. Jedes Glied soll die Funktionen, für die es von Natur bestimmt ist, erfüllen, bei Strafe der Schädigung des Organismus. Die Gesetze der physischen Entwicklung des Menschen müssen ebenso studiert und befolgt werden, wie die der geistigen Entwicklung. Die geistige Tätigkeit des Menschen hängt von der physiologischen Beschaffenheit seiner Organe ab. Die
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