Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Zuckersiedereien, Bleichereien, Zeugdruckereien, Nachtarbeit bei Gaslicht in überfüllten Arbeitsräumen, besonders bei gemeinsamer Arbeit beider Geschlechter.
Das ist abermals eine Reihe von Erscheinungen, die die Unvernunft und Ungesundheit unserer heutigen Zustände scharf beleuchten. Aber diese tief in unseren sozialen Zuständen wurzelnden Übel lassen sich weder durch Moralpredigten noch durch Palliativmittel, mit welchen soziale und religiöse Quacksalber und Quacksalberinnen bei der Hand sind, beseitigen. Die Axt muß an die Wurzel des Übels gelegt werden. Es handelt sich darum, soziale Zustände zu schaffen, die naturgemäße Erziehung, gesunde Lebens- und Beschäftigungsweisen und jedem normale Befriedigung natürlicher und gesunder Triebe ermöglichen.
Für den Mann bestehen eine Menge Rücksichten nicht, die für die Frau bestehen. Kraft seiner Herrschaftsstellung liegt auf seiner Seite, soweit nicht soziale Schranken ihn hindern, die freie Liebeswahl. Der Charakter der Ehe als Versorgungsanstalt, die weibliche Überzahl, die Sitte verhindern die Frau, ihren Willen kundzutun, und zwingen sie, abzuwarten, ob sie gesucht wird. In der Regel greift sie bereitwillig zu, sobald sich die Gelegenheit bietet, einen Mann zu finden, der sie vor der gesellschaftlichen Ächtung und Vernachlässigung rettet, die dem armen Wesen "alte Jungfer" zuteil wird. Oft sieht sie mit Geringschätzung auf diejenigen ihrer Mitschwestern herab, die sich im Gefühl ihrer Menschenwürde nicht an den ersten besten zu ehelicher Prostitution verkaufen und es vorziehen, allein den dornenreichen Weg durchs Leben zu wandern.
Andererseits ist der Mann, der die Befriedigung seines Liebesbedürfnisses in der Ehe erreichen will, meist an soziale Schranken gebunden. Er muß sich die Frage stellen: Kannst du eine Frau und etwa folgende Kinder so ernähren, daß drückende Sorgen dir fern bleiben? Je idealer seine Absichten für die Ehe sind, je mehr er entschlossen ist, nur aus Neigung eine Frau zu ehelichen, um so ernster muß er sich die erwähnte Frage stellen. Für viele ist unter den heutigen Erwerbs- und Eigentumsverhältnissen ihre Bejahung ein Ding der Unmöglichkeit, sie ziehen vor, unverheiratet zu bleiben. Anderen, die weniger gewissenhaft sind, drängen sich andere Bedenken auf. Tausende von Männern kommen erst verhältnismäßig spät zu einer selbständigen, ihren Ansprüchen angemessenen Stellung, aber sie können "standesgemäß" eine Frau nur ernähren, wenn diese größeres Vermögen besitzt. Allerdings haben viele junge Männer von einem sogenannten standesgemäßen Leben übertriebene Begriffe, aber sie müssen sich auch, infolge falscher Erziehung und sozialer Gewohnheiten einer großen Zahl Frauen, von dieser Seite auf Ansprüche gefaßt machen, die über ihre Kräfte gehen. Die guten, in ihren Ansprüchen bescheidenen Frauen lernen sie häufig nicht kennen, diese halten sich zurück und sind dort nicht zu finden, wo man sich gewöhnt hat, die Frau zu suchen. Und die ihnen begegnen, sind nicht selten solche, die mehr durch äußere Erscheinung, durch den Schein den Mann zu gewinnen suchen und ihn über ihre persönliche Eigenschaften und ihre materielle Stellung täuschen. Lockmittel aller Art werden aber um so eifriger angewandt, je mehr diese Damen in das Alter kommen, in dem, um zu heiraten, Eile not tut. Gelingt es einer solchen, einen Mann zu erobern, dann ist sie so an Repräsentation, Tand, Flitter und kostspielige Vergnügungen gewöhnt, daß sie das auch in der Ehe nicht vermissen will. Hier öffnet sich für die Männer ein Abgrund, so daß viele vorziehen, die Blume, die am Rande desselben blüht und nur mit Gefahr des Halsbruchs gepflückt werden kann, stehen zu lassen. Sie gehen allein ihren Weg und suchen sich Unterhaltung und Genuß unter Wahrung ihrer Freiheit. Täuschung und Betrug sind Praktiken, die im Verkehr der bürgerlichen Gesellschaft überall im Schwange sind. Kein Wunder, daß sie auch bei Eheschließungen in Anwendung kommen, und falls sie gelingen, beide Teile in schwere Mitleidenschaft ziehen.
Die Statistik zeigt, daß die sozial bessergestellten und gebildeten Klassen durchschnittlich in einem höheren Alter eine Ehe zu schließen pflegen als die unteren. So betrug das durchschnittliche Heiratsalter in Kopenhagen 1878 bis 1882 (nach Westergaard) für freie Berufe, Fabrikanten, Großhändler und Bankiers 32,2 Jahre; für Handwerker und Kleinhändler 31,2; für
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