Die Frau und der Sozialismus: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Frauenüberschuß
Es gibt aber noch andere Momente, welche Eheschließungen erschweren oder unmöglich machen. Eine erhebliche Zahl von Männern wird durch den Staat an der Eheschließung gehindert. Man verdreht die Augen über das Zölibat, das der katholischen Geistlichkeit auferlegt ist, aber man hat kein Wort des Tadels über die weit größere Zahl der Soldaten, die dazu verurteilt sind. Die Offiziere bedürfen zur Ehe nicht allein des Konsenses ihrer Vorgesetzten, sie sind auch in der freien Wahl der Frau eingeschränkt, indem vorgeschrieben ist, daß dieselbe ein gewisses Vermögen besitzen muß. So erhielt zum Beispiel 1889 das österreichische Offizierkorps eine gesellschaftliche "Aufbesserung". Seitdem ist der Offizier als Heiratskandidat im Preise gestiegen. Der Hauptmann, wenn er über dreißig ist, stieg um volle 8.000 Gulden , während der Hauptmann unter dreißig schwer zu haben ist, und keinesfalls unter 30.000 Gulden Mitgift. Der Offizier, der heiraten wollte, hatte bis dahin, wenn die Dreißig überschritten waren, ein gemeinsames Vermögen von 12.000 Gulden oder 600 Gulden Nebeneinkommen nachzuweisen, und selbst bei diesem geringen Nebeneinkommen sah man bisweilen durch die Finger und gewährte Erleichterungen. Die neuen Heiratsvorschriften sind strenger. Der Hauptmann unter dreißig muß nunmehr 30.000 Gulden, über dreißig 20.000 Gulden, der Stabsoffizier bis zum Obersten 16.000 Gulden Kaution sicherstellen, jedoch darf nur der vierte Teil der Truppenoffiziere verheiratet sein, und von der Braut fordert man makelloses Vorleben und standesgemäße Lebensstellung. Dies gilt für Truppenoffiziere und Militärärzte. Für andere Militärbeamte mit Offiziersrang sind die neuen Heiratsvorschriften milder, für Generalstabsoffiziere aber noch strenger. Der dem Generalstab zugeteilte Offizier darf künftig gar nicht heiraten , der wirkliche Generalstabshauptmann unter dreißig Jahren bedarf einer Kaution von 36.000, später von 24.000 Gulden. In Deutschland sind seit 1902 in der Hauptsache folgende Bestimmungen in Kraft: Die Erlaubnis zur Verheiratung eines Offiziers oder Sanitätsoffiziers mit geringerem Gehalt als demjenigen eines Hauptmanns (Rittmeisters) erster Gehaltsklasse darf nur dann nachgesucht werden, wenn zuvor der Nachweis geführt ist, daß der Offizier oder Sanitätsoffizier ein außerdienstliches Einkommen hat, das mindestens betragen muß: bei einem Hauptmann (Rittmeister) zweiter Gehaltsklasse und bei einem Distriktsoffizier der Landgendarmerie mit einem Gehalt von 4.500 Mark jährlich 1.500 Mark, bei einem Distriktsoffizier der Landgendarmerie mit einem Gehalt von 3.300 Mark jährlich 2.100 Mark, bei einem Oberleutnant und Leutnant einschließlich Oberjäger und Feldjäger des reitenden Feldjägerkorps jährlich 2.500 Mark. Auch das Unteroffizierkorps ist in bezug auf Eheschließungen hemmenden Bestimmungen unterworfen, und bedarf der Unteroffizier zur Eheschließung der Genehmigung seiner höheren Vorgesetzten. Das sind drastische Beweise für die materialistische Auffassung , die der Staat von der Ehe hat.
Im allgemeinen erachtet die öffentliche Meinung, daß Männer unter 24 oder 25 Jahren nicht heiraten sollten, und zwar in Rücksicht auf die in der Regel erst in diesem Alter zu erwerbende bürgerliche Selbständigkeit. Nur bei Personen, die in der angenehmen Lage sind, sich nicht erst eine unabhängige Stellung erobern zu müssen, zum Beispiel bei Personen fürstlichen Standes, findet man es in Ordnung, daß eventuell der Mann mit dem 18. oder 19., die Jungfrau mit dem 15. oder 16. Lebensjahr heiratet. Der Fürst wird auch mit dem 18. Lebensjahr mündig und damit für fähig gehalten, das zahlreichste Volk zu regieren. Gewöhnliche Sterbliche erlangen ihre Mündigkeit erst mit dem 21. Lebensjahr.
Diese Verschiedenheit in den Ansichten über das Alter, in dem eine Eheschließung wünschbar ist, zeigt, daß hierfür nur soziale Rücksichten maßgebend sind, mit dem Menschen als Geschlechtswesen haben dieselben nichts zu tun. Aber der Naturtrieb bindet sich nicht an bestimmte soziale Zustände und die daraus hervorgegangenen Ansichten. Sobald der Mensch seine Reife erlangt hat, macht sich der Geschlechtstrieb mit ganzer Heftigkeit geltend.
Der Eintritt der Geschlechtsreife bei dem weiblichen Geschlecht ist nach dem Individuum, dem Klima und der Lebensweise verschieden. In der heißen Zone tritt sie schon im Alter von neun bis zehn Jahren ein,
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