DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
hausten, etwas Erstickendes hatte. Für zartbesaitetere Naturen stellte dieses Dasein eine enorme Belastung dar.
Nadja langweilt sich im Kreml. Sie wird zusehends depressiver. Stalin findet sie „geheimniskrämerisch“. Welche Ironie des Schicksals! Alle um sie herum sind in den Fünfzigern. Keiner traut dem anderen. Nadja aber würde gerne studieren, das Leben genießen. Die Liebe zu diesem innerlich verhärteten Revolutionär, einen Mann, den sogar seine Genossen schwer erträglich finden, zerstört sie allmählich. In dieses Klima hinein wird 1926 Swetlana geboren, das zweite Kind des Paares.
Stalin, der Galan, der Charmeur, aber hat endgültig die Bühne verlassen, auch wenn er es ihr in materieller Hinsicht an nichts fehlen lässt. Nadjas Wunsch ist ihm Befehl. Sie führt ein Leben, wie ihre Eltern es sich für sie nie zu erträumen gewagt hätten. Sie muss auf nichts verzichten. Trotzdem trägt sie immer noch ihre alten Kleider – aus Sehnsucht nach ihrer Jugend. Ganz gegen ihre Prinzipien stellt sie Köche ein, Kindermädchen und Hauspersonal. Sie muss nur befehlen, und schon wird aufgetragen, was sie zu speisen wünscht. Wenn sie ins Theater oder ins Kino will, bekommt sie immer einen Platz, auch noch in der letzten Minute. Stalin aber hat nie Zeit, sie zu begleiten. Da ist nichts zu machen. Der Kreml wird immer mehr zum goldenen Kerker.
Manchmal versucht Stalin noch, die Jungmädchenfantasien seiner Frau zu befriedigen, indem er sie in einer der Kreml-Limousinen mit offenem Verdeck durch Moskau kutschieren lässt. Er liebt den Buick, den Rolls-Royce, den Packard und sucht all seine Autos persönlich aus.
Auch ihre Ferien verbringt sie im Luxus, fast immer an der sowjetischen Riviera, am Schwarzen Meer zwischen der Krim und Georgien. Dort besitzt das Politbüro Datschas und Erholungsheime. Stalin selbst fährt am liebsten nach Sotschi. Er logiert in der Datscha Nummer 9, einem kleinen Holzhaus mit umlaufender Veranda, das auf einem Hügel liegt. Die Datschas der anderen Politbüro-Mitglieder wie Molotow oder Woroschilow lagen in Sichtweite weiter unten am Hügel. Monsieur jagt, während Madame Tennis spielt. Genosse Molotow kommt gelegentlich vorbei. Er ist sehr amüsant. Nadja liebt seine Wortspiele. Es herrscht eine ausgelassene, freundschaftliche Atmosphäre. Stalin kutschiert die kleine Gruppe mit dem Auto an den See, wo man am Lagerfeuer singt und speist.
Ein wenig dieser Sommerfrischen-Atmosphäre schwappt sogar auf den Kreml über, der unter Stalin mehr oder weniger zum „Dorf“ wird. Man lebt sehr eng zusammen. Stalin selbst pflegt gute Nachbarschaft zu den anderen Bewohnern des alten Zarenpalastes. Er spielt Schach mit Kaganowitsch, lädt die Mikojans ins Kino ein und isst bei den anderen Kreml-Bewohnern zu Abend. Bei diesen Gelegenheiten zeigt er sich gewöhnlich jovial, kameradschaftlich und sehr aufmerksam: „Ah! War das eine schöne Zeit! Wie einfach und freundschaftlich damals unsere Beziehungen noch waren!“, erinnert Woroschilows Frau sich in ihrem Tagebuch [15] .
Nadja ist jedoch die Einzige, die den sowjetischen Führer auch einmal umstimmen kann. Sie hat keine Angst vor ihm und trägt Stalin immer wieder Fälle vor, in denen es zu Ungerechtigkeiten gekommen ist. Als ein Beamter zu Unrecht entlassen wird, verwendet sie sich für ihn. Sie macht ihrem Mann Vorhaltungen: „Solche Methoden dürfen beim arbeitenden Volk nicht angewandt werden. Es ist so traurig. […] Ich weiß, dass du es überhaupt nicht magst, wenn ich mich einmische, doch ich meine, bei dieser Entscheidung, die alle für ungerecht halten, solltest du eingreifen.“ [16] Entgegen allen Erwartungen setzt Stalin sich für den Mann ein. „Ich freue mich so, dass du mir so viel Vertrauen schenkst“, sagt sie zu ihm. Stalin, der es nicht leiden kann, wenn man ihm dazwischenfunkt, scheint derartige Einmischungen vonseiten seiner jungen Frau widerspruchslos hinzunehmen.
Doch die neue Machtstellung ihres Mannes hat für Nadja auch ihre Schattenseiten: Die Ehrungen und Privilegien, auf die sie nun Anspruch hat, widersprechen zutiefst ihren kommunistischen Prinzipien. Das NKWD – das Innenministerium – will sie verpflichten, einen Dienstwagen zu benutzen und sich von einer Leibwache begleiten zu lassen. Beides lehnt Najda ab. Sie will lieber mit dem Bus fahren. Doch sie hat keine Wahl. Als sie beschließt, sich an der Sowjetischen Akademie für Kunst und Handwerk einzuschreiben, lässt sie sich dreihundert Meter
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