DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
Verbindung niemals gutheißen, wusste sie doch, dass meine Mutter zutiefst unglücklich war“, erinnert sich Swetlana Stalin, die Tochter des Diktators.
Das Paar zieht in den Kreml, begleitet von der Familie Allilujew, die außerdem noch eine Datscha in Subalowo nahe Moskau bekommt. Das ist der Dank Stalins an eine Familie, die ihn versteckt und ernährt, die an ihn geglaubt hat. Damit ist die Familie in den inneren Kreis der Macht aufgerückt, in die Nähe Lenins und anderer Helden der Revolution. Gleichwohl waren die Allilujews zeit ihres Lebens begeisterte Anhänger der Revolution. Die bolschewistische Modellfamilie hat den Zenit ihres Aufstiegs erreicht.
Doch der Druck auf die junge Ehefrau ist enorm: Durch die Heirat mit Stalin hat sich das Dasein der Familie ein für alle Mal verändert. Nadja lebt mit ihm in einer kleinen Kremlwohnung, die sie hasst. Doch sie können nicht umziehen, bis die Geburt ihres zweiten Kindes und das Ministeramt ihres Mannes ihnen Anrecht auf eine größere Wohnung geben. Nun hat sie mehrere Zimmer, hohe Fenster mit dicken kastanienbraunen Vorhängen, Sofas, Tische, Sessel – und dazwischen ziehen sich die Kabel, die Stalins Kommunikationsapparat vernetzen. Die Wachen hören auch das leiseste Husten mit und wissen, wann er von einem Raum in den anderen geht. Die Wohnung wird geteilt: eine Hälfte wird von Stalin allein bewohnt, die andere von seiner Familie. Drei Zimmer, die Bettchen für die Kinder, das Spielzeug, die bestickten Kissen. Sein Teil der Wohnung wirkt wie eine Totenkammer: ein Raum, der gleichzeitig Schlaf- und Esszimmer, Bibliothek und Büro ist. Stalin, der Angst hat, man könnte ihn vergiften, lässt jede Mahlzeit vor seinen Augen zubereiten.
Die ersten Jahre dieser Ehe lassen wenig Zeit, um sich um die Ausstattung der Wohnung zu kümmern oder gar für Zärtlichkeiten. Die neue Regierung wird von allen Seiten bekämpft: von den Polen, den Konterrevolutionären, den Ukrainern und den Armeen des Westens. Das erste Kind, Sohn Wassili, wurde 1921 geboren, gerade einmal fünf Monate nach der Eheschließung. Ist er die Frucht einer einvernehmlichen Begegnung oder einer Vergewaltigung? Schon bald nach der Entbindung schleust Stalin seine Frau als Sekretärin bei Lenin ein. Ein kluges Manöver, denn der Genosse Republikgründer wird ja nicht ewig leben. Und wenn es um seine Nachfolge geht, kann Nadja eine wichtige Rolle spielen. Und tatsächlich kommt der jungen Frau etwas zu Ohren, was der Karriere ihres Mannes empfindlich schaden könnte. Lenin scheint einen Brief an den Kongress der Kommunistischen Partei geschrieben zu haben, der als sein „Testament“ gilt und nach seinem Tod geöffnet werden soll. Darin soll er den Genossen davon abgeraten haben, Stalin noch größere Machtbefugnisse einzuräumen, und ihn als brutal, illoyal und ungerecht bezeichnet haben. Soll Nadja ihren Mann darüber informieren? Anfangs bleibt sie ihrer bolschewistischen Moral und Lenin treu und schweigt. Am Ende aber kann sie nicht anders und warnt Stalin. Lenins Brief wäre für ihn das unwiderrufliche Ende seiner Karriere. Der Konflikt, vor dem sie hier steht, übersteigt ihre Kräfte. Sie sieht sich im Zwiespalt zwischen den beiden Heroen der neuen Geschichte Russlands. Nun vorgewarnt, kann Stalin sich bei Lenin entschuldigen und gegenüber den anderen Mitgliedern des Politbüros geeignete Vorkehrungen treffen. Er nutzt die Situation zu seinem Vorteil und wird zum Initiator des Persönlichkeitskults um Lenin, der 1924 stirbt. Einen Mann zu heroisieren, der sich gegen Ende seines Lebens klar gegen ihn ausgesprochen hatte, weist ihn gerade als legitimen Nachfolger dieses Helden aus.
Die neue sozialistische Republik wird vom Kreml aus gelenkt, einer Festung, die von der Stadt und ihren Bewohnern vollkommen abgeschnitten ist. Lenin und sein Stab leben dort mit Frau, Kind und manchmal sogar mit der angeheirateten Familie und bilden einen ganz eigenen Kosmos, der unter Stalin fortbesteht. Dieser hermetische Kreis ist besonders anfällig für Fehden zwischen Einzelpersonen oder Paaren, sodass es mitunter von entscheidender Wichtigkeit ist, mit dem Dienstpersonal auf freundschaftlichem Fuß zu stehen. In dieser Schaltzentrale der Macht nehmen die Frauen eine zentrale Rolle ein. Sie schüren Feindschaften oder bahnen Versöhnungen an. Nadjeschda Krupskaja und Nadja Allilujewa waren wichtige Figuren in diesem Spiel, das allein schon durch die räumliche Enge, unter der die Betroffenen
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