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DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

DIE FRAUEN DER DIKTATOREN

Titel: DIE FRAUEN DER DIKTATOREN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Ducret
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Unabhängigkeit. Und Nadja bewundert den Mann, der den Kommunismus, mit dessen Idealen sie groß geworden ist, in seiner reinsten Form verkörpert, mit aller Kraft ihres jugendlichen Herzens. In ihren Augen ist er der Ritter hoch zu Ross. Ein Mafioso im weißen Anzug.
    Nur eine Kleinigkeit macht Stalin Sorgen: Nadjas Mutter ist psychisch nicht gefestigt. Sie hat mehrfach ihren Mann verlassen, um „ein eigenes Leben“ zu führen, und ihre Pflichten als Frau und Mutter vernachlässigt. Ist dieses starke Verlangen nach Unabhängigkeit etwa erblich? Schon während der Revolution machen sich bei Nadja Anzeichen von Depression bemerkbar. Sie erträgt die Versorgungsengpässe nicht und leidet unter der Lähmung des städtischen Lebens: „Man bekommt immer noch nichts Vernünftiges zu essen hier … Man könnte losheulen, es ist so grässlich. Man kommt einfach nicht raus“, schreibt sie an eine Freundin. Und: „Es geht mir gut, ich bin nur deprimiert wie immer.“ [13]
    Ein paar Monate später, als die Revolutionäre fest im Sattel sitzen, stellt sie fest, dass der Krieg ihr die Unschuld geraubt hat. „Ich bin reifer geworden während der Revolution, ich bin jetzt eine richtige Erwachsene. Das freut mich. Das Problem ist nur, dass ich immer schroffer und reizbarer werde. Aber das vergeht vielleicht, wenn ich älter werde.“ Zu jener Zeit ist sie gerade siebzehn. „Ich habe mehr als zehn Kilo verloren. Ich muss andere Sachen unter meine Röcke ziehen, weil sie mir regelrecht herunterrutschen. Ich habe so viel Gewicht verloren, dass die Leute mich schon gefragt haben, ob ich verliebt bin.“
    Die Geburt des sowjetischen Staates im Jahr 1918 verläuft alles andere als geordnet. Die Hälfte des Landes ist von den „Weißen“ besetzt, die die neue Macht ablehnen und treu zu Zar Nikolaus II. stehen. Die „Rebellen“ halten Zarizyn besetzt, das spätere Stalingrad. Stalin obliegt die Belagerung der Stadt. Er soll sie zur Übergabe bewegen. Sein Hauptquartier ist ein gepanzerter Eisenbahnwaggon, wo er von Fjodor und Nadja als Schreibkraft unterstützt wird.
    Von seiner Kommandozentrale im Zug aus koordiniert er die Einsätze der Polizei, lässt Konterrevolutionäre aufspüren und gnadenlos hinrichten. Das Innere des Waggons ist ein prachtvoll ausgestatteter Salon, hat er doch einst einem „durch Schnulzengesang reich gewordenen Zigeuner“ [14] gehört. Bevor er dort sein Hauptquartier aufschlägt, lässt Stalin ihn ganz mit hellblauer Seide ausschlagen. Die siebzehnjährige Schülerin ist tief beeindruckt. Kaum hat sie den Helden ihrer Kindertage wiedergesehen, der sie aus den Fluten gerettet hat, findet sie sich inmitten eines Kampfes von titanischen Ausmaßen wieder, bei dem das Schicksal ganz Russlands auf dem Spiel steht. Und sie steht als Heldin mitten drin. Sie kann gar nicht anders: Nadja ist begeistert.
    Nach einem Jahr der durch das Kriegsgeschehen bedingten Nähe beschließen die beiden, sich nach der Rückkehr in die neue Hauptstadt Moskau trauen zu lassen, sobald Nadja volljährig ist. Denn dies verlangt das Familienrecht in der neuen Sowjetunion. Die Eheschließung selbst läuft beinahe spartanisch ab, ohne großes Zeremoniell oder rauschende Feste. Dieses Mal heiratet Stalin nicht in der Kirche. Auch Nadja scheint nicht gerade von Freude überwältigt. Anders als man auf den ersten Blick glauben könnte, war eine Ehe mit Stalin vielleicht nicht unbedingt das, was sie wollte. Anna, Nadjas ältere Schwester, jedenfalls berichtet, dass Nadja in Zarizyn mehr Kameradin und Begleiterin ihres Bruders denn Geliebte Stalins war. Schließlich lebten auch noch ihr Vater Sergej und einige andere Funktionäre in diesem Eisenbahnwaggon. Eines Nachts hörte Sergej seine Tochter schreien und stürzte eilends in ihr Abteil. Er fand sie schluchzend auf dem Bett. Stalin habe sie soeben vergewaltigt, erzählte sie ihm. Weiß vor Wut drohte ihr Vater, seinen ehemaligen Schützling umzubringen! Stalin warf sich ihm zu Füßen und flehte ihn um die Hand seiner Tochter an. Nadja sei wenig begeistert gewesen, einen Mann heiraten zu müssen, den sie nicht wirklich liebte, enthüllt Anna in ihrem Tagebuch.
    Olga, Nadjas Mutter, hat zwar nicht unbedingt eine Abneigung gegen Stalin, doch auch sie kann ihn nicht als Ehemann für ihre Tochter akzeptieren. Sie tut ihr Möglichstes, um ihn von seinen Heiratsplänen abzubringen und behandelt ihn fortan wie einen Aussätzigen. Doch ihre Feindseligkeit hat Gründe. „Sie konnte diese

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