Die Frauen von Clare Valley
während der Truthahn glücklich und gefroren bleibt, die Christmas Puddings ein weiteres Jahr in ihrem Brandy ziehen dürfen und ihr alle, du, Geraldine und die Mädchen, hoffentlich ein paar schöne Urlaubstage habt.«
Stirnrunzelnd blätterte Jim vor und zurück. »Das ist seltsam, findest du nicht? Letztes Jahr war um die Zeit mehr los. Mit einer Buchung hatte ich mindestens gerechnet, damit du etwas Unterhaltung hast.«
»Mir wird es gut ergehen, Darling. Und außerdem habe ich das Radio zur Unterhaltung. Da laufen an Weihnachten ganz wunderbare Programme für die einsamen, verlassenen Alten.« Lola lachte über Jims Miene. »Das war ein Scherz, Jim. Mach mir bloß kein schlechtes Gewissen, damit ich am Ende doch noch dränge, dass ihr bleibt. Bitte. Du weißt, dass ich sehr gern allein bin. Also, hast du nichts zu tun? Möchtest du Geraldine nicht beim Packen helfen? Den Reifendruck messen? Den Ölstand prüfen? So eine Tour will organisiert sein.«
Jim war in Gedanken noch immer bei den Reservierungen. »Das ist das letzte Mal, dass ich es mit Online-Werbung versuche. Alle haben mir eingeredet, dass man Motels nur noch über das Internet bucht, aber für uns gilt das offensichtlich nicht. Und die Probleme mit unserem Computer waren auch nicht hilfreich.«
»Mach dir keinen Kopf, Darling. Kümmere dich im neuen Jahr darum. Und nun verschwinde und lass mich allein. Ich möchte noch ein wenig in vierundachtzig erlebnisreichen Jahren schwelgen, bevor ich mich dem Gemeinwohl widme und meinen Dienst im Secondhandladen antrete.«
»Da solltest du meiner Meinung nach auch ein wenig kürzertreten.«
Lola hielt sich die Ohren zu. »Ich höre nichts. Ich schwelge schon.« Dann kniff sie wie ein kleines Kind die Augen zusammen und wartete darauf, dass ihr Sohn endlich das Zimmer verließ.
Nach einer Weile öffnete Lola vorsichtig ein Auge. Er war wirklich fort. Gott sei Dank. Am Ende hätte sie ihm noch die Wahrheit sagen müssen. Dass die Online-Werbung sehr wohl gewirkt hatte. Dass die ganze Woche lang E-Mails mit Anfragen gekommen waren. Die sie natürlich nicht auf dem Motel-Computer gelesen hatte. Der war seit vier Tagen offiziell defekt. Ihrem glücklicherweise sehr beschäftigten Sohn und seiner Frau gegenüber hatte Lola behauptet, es gebe Probleme mit dem Server. »Server!«, hatte sie gesagt und sich völlig naiv gegeben, dabei liebte sie den Computerjargon. »Für mich klingt das nach Servicepersonal!« Dabei hatte Lola selbst das Internetkabel herausgezogen. Und versteckt, damit sie unter allen Umständen offline blieben. Das hätte noch gefehlt, dass Jim oder Geraldine E-Mails lasen, in denen um nähere Informationen zur Weihnachtsaktion gebeten wurde. Auf diese Fragen hätten die beiden ohnehin nicht antworten können. Warum sollte Lola ihre Familie damit behelligen, waren doch alle so schön in Urlaubsstimmung? Und alle beim kleinsten Verdacht, dass sich ein oder zwei Gäste ins Valley View Motel verirren könnten, doch nicht fahren würden?
Lola hatte ihren Plan gründlich durchdacht. Erstens brauchten Jim und Geraldine dringend etwas Abstand. Genauer gesagt, brauchte Jim dringend etwas Abstand und Lola dringend etwas Abstand von ihrer Schwiegertochter. Sie liebte Jim über alles, aber das Verhältnis zwischen ihr und Geraldine war eher unterkühlt. Mit Rücksicht auf Jim war es nie zu einem offenen Streit gekommen. Die Feindseligkeit schwelte eher im Verborgenen. Lola hätte sich notfalls auch mit einem Stein am Wegesrand unterhalten, doch mit Geraldine, die sie nun so viele Jahre kannte – es waren fast vierzig – hatte sie nicht ein lebhaftes, interessantes Gespräch geführt. In Folge der tragischen Ereignisse, die die Familie vor beinahe fünf Jahren erschüttert hatten, war es vorübergehend zu einer Entspannung, zu einer Annäherung gekommen – sie waren schließlich beide Mutter –, aber nur vorübergehend. In Lolas Augen war Geraldine eine farblose, muffige Spaßbremse, und in Geraldines – im Ernst, wen interessierte schon, was Geraldine in Lola sah? So sagte Lola immer nur, wenn Geraldine sie mit Missbilligung bedachte: »Keine Angst, meine Liebe. Bald kannst du mich in ein Heim für die Irren und Verwirrten abschieben. Ich merke doch, wie mir der Verstand nach und nach abhandenkommt.«
Lolas Empfinden Jims und Geraldines Töchtern gegenüber war davon grundverschieden. Sie liebte die Mädchen nicht nur. Sie vergötterte sie. Anna, Bett und Carrie, ihre ABC-Schwestern.
Es war eine
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