Die Frauen von Clare Valley
Überzeugung, dass dort Vernunft walten würde und Meeresfrüchte sowie kalte Cocktails zu Strandmusik serviert und keine frohlockenden Weihnachtslieder über Schneeflocken, Rentiere und Weihnachtsmänner dudeln würden. Weit gefehlt. Schon von Ferne hatte ihr das Resort unter künstlichem Schnee entgegengefunkelt, und das arme Personal hatte eine eigentümliche Kombination aus Strandkleidung und Weihnachtsmützen getragen und tapfer über die gnadenlose weihnachtliche Musikberieselung hinweggelächelt.
Martha seufzte jetzt noch vor Verzweiflung und klickte sich durch weitere Hotels. Sie verwarf jede Option, die vor ihr auf dem Monitor erschien. Nein, sie war schon mal in Byron Bay gewesen. In Sydney oft genug auf Dienstreise. Ebenso in Tasmanien und Westaustralien. In ihrem Job als Personalberaterin mit Firmensitz in Melbourne war sie dreißig Wochen im Jahr auf Achse. Vielleicht sollte sie Weihnachten gar nichts unternehmen. In ihrem kleinen, aber feinen Haus im Nobelstadtteil Carlton die Klimaanlage aufdrehen und sich Fisch dünsten … Nein, auf keinen Fall. Sie brauchte einen Tapetenwechsel. Martha klickte sich durch weitere Angebote und Beschreibungen und seufzte bei den meisten Formulierungen. Fehlerhafte Grammatik war unerträglich, und nachlässige …
»Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt Feierabend mache?«
»Ist der Bericht denn fertig?« Das hatte so scharf gar nicht klingen sollen. Martha wollte sich schon entschuldigen, da fiel ihr der Rat ihres ersten Chefs und Mentors ein: nichts entschuldigen, nichts erklären. Es war sein Lebensmotto. Für ihn hatte es sich ausgezahlt, wortwörtlich. Für sie ebenso. Das Geschäft gedieh, das Guthaben auf ihrem Konto war mehr als üppig.
Ihre Sekretärin, noch immer an der Tür, nickte. »Ausgedruckt und in einer Mappe auf Ihrem Schreibtisch.«
Martha hatte gar nicht bemerkt, dass ihre Sekretärin damit hereingekommen war. Wahrscheinlich hatte Martha in dem Moment einen ihrer Recruiter angeschrien.
»Gut.« Pause. »Danke.«
Ihre Sekretärin rührte sich noch immer nicht. Martha wartete voller Ungeduld. Was man ihr bestimmt ansah. »Ja, Alice?«
»Ich wollte Ihnen nur frohe Weihnachten wünschen.«
»Es ist Anfang Dezember. Ein bisschen früh, finden Sie nicht?«
»Ich habe den restlichen Monat frei. Wissen Sie nicht mehr? Sie haben meinen Antrag auf Sonderurlaub unterzeichnet. Und ich habe, wie gewünscht, bei der Zeitarbeitsfirma Ersatz organisiert. Sie fängt am Montag an, gleich früh um acht …«
»Oh, richtig. Ja. Prima. Na dann, viel Spaß.«
Erst nachdem die Tür geschlossen war und am Ende des Flurs das schwache Ping des Aufzugs erklang, fiel Martha ein, dass ihre Sekretärin nicht nur Urlaub machte. Sie wollte in der Woche vor Weihnachten heiraten und ihre Flitterwochen in Thailand verbringen. Jetzt war es zu spät, ihr noch nachzueilen. Und angebracht war das ohnehin nicht. Sie hielt die Grenzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer strikt ein. Nichts entschuldigen, nichts erklären.
Martha wandte sich wieder dringenderen Problemen zu. Wohin in ihrem Urlaub? In jedem Fall raus aus der Stadt. Sie war den Verkehr, den Lärm und all die Menschen leid. Wenn sie schon Truthahn samt Beilage nicht entkommen konnte, dann wenigstens an einem kühlen, grünen Ort? Plötzlich kam ihr ein Lieblingsfilm ihres Vaters in den Sinn. So grün war mein Tal . Martha schob die Erinnerungen beiseite, die aufzusteigen drohten, und googelte »Tal«, »Weihnachten« und »Motel«. Die Ergebnisse umfassten vier Seiten. Martha klickte gleich auf den ersten Eintrag. Valley View Motel, Clare Valley. Gleich zwei Mal »Valley«, zwei Mal »Tal«. Das klang doppelt kühl. Das müsste gehen. Alles andere interessierte sie nicht. Weihnachten war an einem Tag vorüber, und außerdem wollte sie ihren Laptop mitnehmen und überwiegend arbeiten. Hauptsache, das Motel entsprach den wesentlichen Anforderungen.
Martha überflog rasch die Informationen. Das Motel lag auf dem Land, ja, gut, Zimmer mit Kochmöglichkeit, zwei Stunden Fahrtzeit von Adelaide entfernt. Nicht, dass sie sich selbst ans Steuer setzen würde. Wenn sie weite Strecken vor sich hatte, ließ sie sich immer von einem Fahrdienst abholen, damit sie unterwegs arbeiten konnte. Hoffentlich war die Aushilfssekretärin kompetent genug, all das zu organisieren. Wenn nicht, müsste Martha eben Alice anrufen, Urlaub hin oder her. Bei der Gelegenheit könnte sie ihr auch alles Gute zur Hochzeit und für die Flitterwochen
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