Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
Kistchen. Welcher Schlüssel? Mist, den muss sie
jetzt noch einmal aus den anderen heraussuchen! Rasch zusperren und in die
Sitztruhe. Zumachen, schnell noch mal rausschauen. Jetzt kommen die Alten
zurück. Der Hund rennt schon voraus.
Nein, da sind noch die
Zeitungen!
Die hat sie vergessen. Noch
einmal die Klappe auf, den Packen Zeitungen über die kleine Kiste, dann die
Klappe zu und das Sitzpolster darüber. Und jetzt ganz ruhig und so tun, als
wäre alles, wie es immer ist. Sie stülpt sich den Kopfhörer ihres MP3-Players
über die Ohren und setzt sich auf den Stuhl neben das Tischchen. Völlig
atemlos.
„Wie schon gesagt“, meint
Gravogl, während er in den Zigeunerwagen steigt, „wenn er sie nicht schlucken
will, stecken Sie die Tablette in ein Kügelchen aus Leberstreichwurst. Das
nehmen fast alle Katzen an.“
Miriam lacht:
„Der alte Wotan. Er hasst
Tabletten!“
Und während die Beiden noch
eine Weile über die Vor- und Nachteile der Wurmkur für Katzen in Tablettenform
plaudern, hat es die kleine Kathi zum ersten Mal in ihrem Leben mit einer
Überdosis Adrenalin zutun, die sie nun tapfer unter der Lärmkuppel ihres MP3-Kopfhörers
wieder abbaut.
8
Indessen klappert der junge
Pfarrer Teufl auf dem Rückweg von der Hagazussa mit seinem Fahrrad den Karrenweg
entlang. Die Begegnung mit dem Tierarzt war ihm peinlich. Eigentlich unhöflich,
nicht kurz anzuhalten und ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Immerhin ist Dr.
Gravogl einer der wichtigsten Leute hier im Ort, auch wenn er, seine Frau und
seine zwei Töchter nur selten zur Sonntagsmesse kommen.
Er fühlt sich immer etwas
sonderbar, wenn er so denkt, denn im Grunde will er ja keiner von diesen
fanatischen Missionaren sein, die alle Menschen um jeden Preis zwangsbekehren
wollen. Trotzdem fühlt er sich irgendwie deprimiert, wenn er im Ort auf
Menschen stößt, die seine seelsorgerischen Dienste nicht annehmen.
Was ihn im Augenblick
allerdings mehr bewegt, ist diese sonderbare Begegnung mit der Frau im
Zigeunerwagen. Er schämt sich ein wenig dafür, dass er ihr all diese blöden
Fragen gestellt hat. Doch was hätte er seinen dirnitzer Frauen sonst sagen
sollen? Sind deren Sorgen nicht auch ernst zu nehmen? Teufl weiß mehr über die
modernen Hexenbewegungen, als er den Frauen gesagt hat. Im Internet ist ja eine
ganze Menge darüber zu erfahren, auch auf christlichen Homepages. Was auch
immer er ihnen davon erzählt hätte, sie hätten nur gemeint, dass er sie damit
beruhigen wolle. Außerdem, und dabei durchfährt ihn ein heißer innerer Stoß,
war er ja, zugegeben, auch ein wenig neugierig. Natürlich. Er wollte sie ja
besuchen. Und dann steht sie vor ihm, nur in ein Bettlaken eingehüllt, dreist
und sexy, und trotzdem auch irgendwie naiv und unschuldig und schön. Teufl
spürt schmerzhaft eine Erektion in seiner engen Hose, wie er sie auch schon im
Zigeunerwagen hatte, interessanter Weise gerade in dem Moment, da er erschrak,
als sie ihn mit der Tollkirschenmarmelade neckte. Er ist froh darüber, dass
sich diese physische Vorwölbung seiner erregten Männlichkeit in der geknickten
Haltung am Fahrrad ganz gut verbergen lässt. Und er ärgert sich natürlich,
jetzt in diese Situation geraten zu sein, mit all diesen Empfindungen, die ihn
aufwühlen und sogar ein bisschen schwindelig werden lassen. Wahrscheinlich, so
befürchtet er, wird er jetzt noch eine ganze Weile mit dem Fahrrad umherfahren
müssen.
Teufl hat sich im Vorfeld sehr
genau über Hexenbewegungen informiert. Schon während seines theologischen
Studiums hat er einmal eine Vorlesung über die Wicca-Religion besucht. Er weiß,
dass es diese neuere Hexenbewegung erst seit etwas mehr als 50 Jahren gibt,
dass sie nichts mit Satanismus oder bösem Zauber zu tun hat, sehr wohl jedoch
mit so genannter „weißer Magie“. Und er empfindet, dass der Glaube an die
Mondgöttin und den Gehörnten Gott ebenso naiv ist wie der Glaube an den Mann
mit dem weißen Rauschebart im Himmel. Doch ist er sich auch im Klaren darüber,
dass weder bewusste Christen noch bewusste Hexen einfach dieses naive Bild der
Götter verehren. Sie sind vielmehr nur Symbole für die Große Energie, die unser
Universum erfüllt.
In Dörfern wie diesem hat es
vor 400 Jahren noch Hexenverbrennungen gegeben, und auch heute ist der Glaube
an Hexen und Magie noch keineswegs ausgestorben. Gerade in solch abgelegenen
Dörfern wie Dirnitz gibt es noch jede Menge Aberglauben. So gibt es auch noch
in diesen Tagen heidnische
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