Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
Mit vielen
Menschen hier bin ich verwandt. Praktisch jeden hier kenne ich persönlich. Ein
bisschen verschroben und altmodisch sind die Dirnitzer vielleicht, aber dass
Ihnen hier wirklich etwas geschehen könnte, halte ich für unwahrscheinlich.
Haben Sie nicht eben noch mit dem Herrn Pfarrer gesprochen?“
„In der Tat! Er wurde von den
katholischen Frauen geschickt, die sich, so scheint´s, ein wenig fürchten vor
einer Hexe wie mir.“
Die kleine Kathi lacht, als sie
das hört. Miriam streicht lächelnd über das glänzende schwarze Haar der Kleinen.
„Doch glaube ich nicht, dass
dieser Brief von den Frauen kommt. Ich will diesem Schreiben vorerst noch keine
zu große Bedeutung zumessen. Trotzdem werde ich nicht mehr allzu lange hier
bleiben. Ich möchte noch ein paar Tage abwarten wegen der Rindervirose, wenn
sich nichts mehr verändert, ziehe ich am Wochenende ab, damit sich hier niemand
mehr fürchten muss.“
Miriam lacht, und auch der
Gravogl versucht ein etwas angefrorenes Lächeln.
Ob er sich einmal den Wotan,
ihren roten Kater, ansehen könne, fragt sie ihn dann. Er habe die letzten zwei
Tage öfter erbrochen und sie habe dünne, fadenförmige Würmer in seinem
Erbrochenen gefunden.
„Wahrscheinlich Askariden“,
brummt Gravogl. „Wo ist denn der Streuner? Ich will ihn mir ansehen.“
„Draußen, vor dem Wagen wird er
sein“, vermutet Miriam.
Die beiden treten ins Freie.
„Wotan!“, ruft die Hagazussa.
Doch Wotan ist zur Zeit nicht
bei Appetit. Und Miriam weiß, dass er dann auf Lockrufe einfach nicht zu
reagieren pflegt.
„Er wird irgendwo hier in der
Nähe sein Schläfchen machen.“
„Schauen wir mal, wo er sein
könnte!“, meint der Gravogl.
Und so machen sie sich im
Freien auf die Suche nach dem roten Riesenkater. Lila, die Schäferhündin, läuft
ihnen voraus.
Indessen erkundet Kathi die
Räumlichkeiten der Hagazussa. Der mit einem roten Seidenschleier umrahmte ovale
Spiegel, die trockenen Kräuterbüschel, die hier überall hängen und ihren
krautig-erdigen Duft verströmen. Kathi sucht das Buch der Schatten . Jede
Hexe hat doch ein Buch der Schatten. Sie hat das mal im Fernsehen gesehen. Doch
hier liegt nirgendwo ein solches Buch. Bücher über Kräuter, irgendwelche leeren
Flaschen, Schminkzeug, Kajalstifte, eine Kristallkugel.
Da, eine Klappe unter dem
Sitzpolster dieser kleinen Bank! Das Mädchen öffnet vorsichtig den Deckel.
Kathi ist ja viel neugieriger als ihre große Schwester Lena, die mittlerweile
schon einen festen Freund hat. Die ist ja auch neun Jahre älter. Aber das hätte
sich Lena nie getraut! Unter der Klappe alte Zeitungen. Und darunter ein
Kästchen. Aus dunklem, altem Holz. Vorsichtig lugt Kathi durch den Türspalt ins
Freie: Die zwei Alten und der Hund sind weit vorn auf der Wiese und suchen den
Kater. Sie kann also ruhig mal reinschauen! Doch das Kästchen ist verschlossen.
So ein Mist!
Das Mädchen will das Ding schon
wieder in die Bank schieben, als ihm der Schlüsselbund am Tischchen auffällt.
Mit einer Unmenge von Schlüsseln dran. Aber das Schloss ist ganz klein. Nur
wenige Schlüssel am Bund sind so klein, dass sie in dieses Schloss passen. Lena
würde zerplatzen, wenn sie hier wäre. Aber nicht vor Neid, sondern vor Angst.
Sie, Kathi, ist die Mutigere. Obwohl sie selbst erst zehn ist und die Lena
schon neunzehn. Und Kathi ist stolz darauf, wenngleich sie jetzt am ganzen
Körper zittert.
Endlich passt einer von den
kleineren Schlüsseln und sie kann das Kästchen öffnen. Ein muffiger Geruch
schlägt ihr entgegen. Das Ding ist angefüllt mit verschiedenen kleinen
Einmachgläsern. Auf einem steht Aconitum napellus, drinnen sind kleine grüne
und blaue vertrocknete Blätter; auf einem anderen steht Marmelada belladonna,
drin ist eine schon etwas eingetrocknete Marmelade. Und dann noch eines mit der
Aufschrift Salvia Divinorum und eins, wo Brugmansia drauf steht. Und noch viele
mehr. Das also sind die geheimen Zauberkräuter der Hexe!
Kathi lugt noch einmal zum
Türspalt. Die sind noch immer unterwegs, um den Wotan zu finden. Sie spürt, wie
ihre flattrigen Hände ganz feucht werden. Was würde ihre Freundin Else wohl
sagen, wenn sie mit diesen Zauberkräutern anrückt! Mit ihr spielt sie öfter die
Fernsehepisoden der Hexen von Charmed nach. Noch zögert sie, schaut
immer wieder durch den Türspalt. Endlich fasst sie sich Mut und steckt einige der
Gläser in ihre Schultasche.
Dann schnell die restlichen
Gläser wieder zurück in das
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