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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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genauso absurd wie die augenzwinkernde Leugnung ihrer Beantwortbarkeit. Eine Frage, die nicht beantwortet werden kann, ist bekanntlich nur eine Pseudo-Frage, ein leerer Handschuh, der das Gebärdensprache-Zeichen für
Wie bitte?
macht, mit anderen Worten: eine Falle. Wenn die Litfaßsäule geschlossen wird, ist es vollkommen dunkel. Natürlich hat der Künstler daran gedacht, im Inneren eine Lampe zu installieren, doch der Lichtschalter ist bei geschlossener Tür nicht mehr zu betätigen. Solange der Besucher, Flüchtling oder Geist aus den späten Achtziger Jahren keine Taschenlampe bei sich hat, muss er die Betrachtung des Bildes auf der Innenwand der Säule auf den Einfall des Tageslichts durch die schmalen Ritzen der Tür abstimmen. Oder er öffnet die Litfaßsäule wieder. Draußen gehen Leute vorbei, sehen zu ihm hinein, auf das Bild, wieder zu ihm. Schütteln den Kopf. Der Zustand
Ich betrachte das Bild
wird also gleichbedeutend, weil gleichzeitig, mit dem Zustand
Ich bin sichtbar
oder
Ich werde von außen betrachtet.
Man betrachtet einen Menschen, der in die Betrachtung eines Bildes versenkt ist, noch dazu an einem höchst sonderbaren Ort. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Litfaßsäule vergessen wird und ihr Eingang von einer unzerreißbaren Schicht Plakatwerbung zugeklebt ist. Bis dahin – erfreuen wir uns an ihr
.
    Joachim Hutmek
    (Aus der Broschüre für die Ausstellung
Think Tanks
)

    – Raus, raus!, bellte ein großer, dicker Kopf.
    Uljana sprang sofort auf und versuchte aus ihrem Versteck zu entkommen, das gar kein Versteck war, sondern eine Falle. Aber der Ausgang war versperrt. Der wild verzerrte Mund spuckte sie an, sie zuckte zusammen.
    – Los! Raus, raus, raus!, bellte jetzt auch ein zweites, noch größeres Gesicht.
    – Das ist kein Katzenklo, knurrte der erste.
    Endlich öffnete sich zwischen den beiden ein enger Korridor, gerade breit genug, um durchzuschlüpfen. Uljana schaffte es.
    Einer der Männer, die beide einen orangen Overall mit der Aufschrift
Stahlstift
trugen, stampfte mit dem Fuß auf, um sie zu verscheuchen. Sie flüchtete ins Gebüsch. Sie kannte diese Art von Zorn und wusste, dass sie dagegen keine Chance hatte.
    Da ihr aufgrund des großen Schreckens selbst das Tageslicht Angst machte, verkroch sie sich am Parkplatz unter einem der Autos und wartete dort, zwinkernd und atmend, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
    – Drecksköter, sagte der erste Arbeiter.
    – Egal, sagte der andere. Wenigstens hat er nicht in die Säule geschissen. Hat sich nur ausgeruht. Ein Streuner.
    – Gott sei Dank ist der Zmal nicht da. Was glaubst du, wie der sich aufgeplustert hätte, wenn da in seinem Kunstwerk ein Hund übernachtet.
    – Wie spricht man den Namen aus?
    – Zmal, oder? Ich weiß es nicht.
    – Ich sag
Tsmal
. Ist das falsch?
    – Mir doch egal. Hilf mir lieber.
    Sie öffneten die Tür ein Stück weiter und betätigten den Lichtschalter. Eine einzelne Glühbirne erhellte mit ihremharten Licht den Innenraum, in dem sich ein kleiner Sessel und ein Bild befanden, das ein Schiff zeigte, welches im himmelblauen Meer spazieren fuhr.
    – Ich versteh nicht, sagte der Dickere der beiden. Nein, ich versteh wirklich nicht, wie wir das hinkriegen sollen. Diese scheiß Künstler!
    Er ließ seinen Zeigefinger wie einen verrückt gewordenen Satelliten um sein Ohr kreisen und sagte:
    – In dem Konzeptpapier, das er uns geschickt hat, steht:
Flackerndes Licht
. Hm …
    Er kratzte sich an der Wange.
    – Konzeptpapier, äffte der andere ihn nach.
    – Ja, ha! Ich meine: das handschriftliche Fax, das heute Morgen in der Kaffeekassa gelegen ist.
    Die Männer lachten. Sie lehnten sich zurück und stießen die Luft durch die Zähne aus:
    –
Ts-s-s!
    – Aber ernsthaft, fragte der erste Arbeiter, kannst du dir was drunter vorstellen?
    – Nicht wirklich. Er meint wohl, so wie wenn man im Keller das Licht anmacht und die Glühbirne hat einen Wackelkontakt und flimmert die ganze Zeit. Aber wie sollen wir das mit einer
gesunden
Glühbirne hinkriegen?
    – Dabei ist das bestimmt nicht einmal ungefährlich. Was ist, wenn wir einen Kurzschluss oder einen Kabelbrand verursachen?
    – Na ja, dann brennt dieser hässliche Klotz hier ab.
    – Hast Recht. Auch kein großes Unglück.
    – Eben. Und kein Haus in der Nähe, nur dieser Parkplatz. Vielleicht fängt diese Hecke dort Feuer, wer weiß. Aber sonst ist der Platz perfekt für ein kleines Feuerchen zur Eröffnungsfeier.
    – Weißt du was, mir ist

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