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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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das alles zu blöd. Schraubenwir die Birne halt nur zur Hälfte rein, dann wird sie schon flackern.
    – Gut, probieren wir’s.
    Der Schlankere der beiden Männer griff durch die enge Raumschiffluke ins Innere der Säule. Er berührte die Glühbirne mit der Hand und schrie auf.
    – Aaah!
    – A wie Anfängerfehler, du sagst es! Hahaha!
    Der andere klopfte sich auf den Schenkel.
    – Scheiße! Au!, schrie der Dünne, blies auf die verbrannten Finger und klemmte sie sich unter den Arm.
    – Mach du, sagte er. Ich bin verletzt.
    – Ach Quatsch, du bist nicht verletzt. So lang hat das Licht ja noch gar nicht gebrannt.
    – Los jetzt! Ich hab keine Lust, den ganzen Tag mit dir zu streiten. Ich bin froh, wenn ich diese blöde Säule nicht mehr sehen muss.
    – Schon gut, schon gut.
    Der Dickere wickelte sich einen Fetzen um die Hand und schraubte die Birne aus der Fassung. Er schraubte und schraubte und – plötzlich ging das Licht aus.
    – Du musst es mit Gefühl machen, sagte sein Kollege, der seine Hand immer noch unter den Arm geklemmt hatte.
    – Versuch ich doch.
    Er schraubte langsamer. Das Licht flimmerte einmal auf, dann war es wieder dunkel.
    – Das ist mit Abstand der dümmste Auftrag, den wir je bekommen haben!
    – Warte, ich hab’s gleich …
    Das Licht flackerte auf, ging wieder aus, flackerte.
    – Genau so, sagte der Dünne. Das ist perfekt. Flackernder geht’s nicht.
    Er beobachtete mit offenem Mund, wie sein Kollege die Glühbirne vorsichtig losließ. Sie hing ganz still an ihrem Kabel von der Decke.
    – Okay. Dann probieren wir’s mal. Es soll schließlich auch bei der Eröffnung morgen Abend funktionieren.
    Der Dickere steckte den warm gewordenen Fetzen zurück in seine Hosentasche und schaltete das Licht aus. Dunkelheit. Er wartete ein paar Sekunden, tauschte einen viel sagenden Blick mit seinem Kollegen, dann schaltete er wieder ein. Ein elektrisches Knirschen ertönte, dann explodierte die Glühbirne, und Glassplitter regneten zu Boden.
    – Scheißdreck!, brüllte der Dünne, warf seine Haube auf den Boden und trat gegen die Säule. Ich bring dich um, du verdammtes Scheißding, ich bring dich um!

Der Pferdebiss
    Ich hasse es, wenn Leute zuerst lang und breit in den Telefonhörer atmen, bevor sie sich dazu herablassen, ein Wort zu sagen.
    – Äh …
    – Hallo?
    – Äh … ja, also … hier ist dein … äh …
    Die Stimme am anderen Ende der Leitung machte tatsächlich noch einmal
Äh
, damit ich sie identifizieren konnte. Nachdem ich sie erkannt hatte, setzte ich mich auf den Fußboden, Gott sei Dank auf den Fußboden, denn im selben Augenblick flogen mehrere Handgranaten zum offenen Fenster herein, darunter auch kleinere Raketen und Giftpfeile, die federnd in der Wand stecken blieben, in der Winterlandschaft, die auf dem heutigen Kalenderblatt zu sehen war, und in meinem Lieblingsposter, einer verkleinerten Reproduktion von Paul Klees Meisterwerk
Die Zwitschermaschine
, dieser herrlichen Fantasie mit den spiralhalsigen Vögeln, die durch eine Kurbel in Gang gesetzt werden konnten, ach ja, diese unschuldigen, kleinen, kindlichen Vögel, und jetzt steckte da ein gefährlicher Pfeil mitten im Bild, und schon riss es entzwei, wohl wegen der wilden Zersetzungskraft des Giftes und des Drucks der Explosionswellen, welche in konzentrischen Kreisen durch mein Zimmer jagten – ich konnte nicht mehr atmen, mir blieb die Luft weg, wie in einem Überschallflugzeug ohne Pilotenkanzel, dem Wind ausgesetzt, diesem immerwährenden Aufprall gegen die trägen, alles zersetzenden Luftmassen, die die Gesichtshaut in absurde Schlottermasken verwandeln, in groteske Faltenspiele, und die den Mund mit heißer Luft füllen, sodass man die Lippen nicht mehrschließen kann und mit einem dämlich aufgeblasenen Pferdegrinsen, einsam zwischen Himmel und Erde zappelnd, in einem kleinen, kompakten Höllengefährt, seinen Geist aufgibt mit einem letzten, niederfrequenten Gnadenlaut:
    – Oh.
    Das Telefon löste sich von meinem Ohr. Vorsichtig, mit zitterndem Daumen, legte ich auf. Ich drückte den entsprechenden Knopf. So. Das heutige Datum erschien, darunter Uhrzeit und Dauer des Anrufs. 0:49. Neunundvierzig Sekunden. Neunundvierzig, sieben ins Quadrat. Eine hässliche Zahl. Mein Sinn für Synästhesie teilte ihr die Farbe Rot zu. Die Sieben ist eher gelb, vielleicht ein wenig orange.
    Gelb mal Gelb ergibt also Rot.
    Ich überprüfte noch einmal, ob ich auch wirklich aufgelegt hatte. Dann schaltete ich das Handy

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