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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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stürzte dann Hals über Kopf weiter und ohrfeigte eine Straßenlaterne. Irgendwann verlor der Wind das Interesse an dem Blatt und ließ von ihm ab; es blieb still zwischen anderem Straßenmüll liegen.
    Uljana hatte sich mehrere Stunden abgemüht. Jetzt endlich hatte sie den Stellungswinkel ihrer Beine gefunden, sodass es funktionieren müsste. Sie drückte mit ihrem Hinterlauf – der Plastikring um ihren Hals schob sich nach oben, wellte ihr Fell, dann war der Ring über den Bereich hinaus, wo sonst immer das Halsband ihrer Leine rieb, und begann an ihren empfindlichen Ohren zu reißen.
    Es half nichts, es tat so weh, dass sie aufhören musste. Schnaufend machte sie ein paar Minuten Pause, schnupperte verloren auf dem Boden herum und hörte dem weißen Rauschen der Niederlage zu, das ihren kleinen, rotbraunen Kopf erfüllte. Das Rauschen wurde lauter, Uljana schnüffelte Blätter an, die am Boden klebten, das Rauschen ging über in ein Brüllen – und sie sprang auf, biss sich in ihren Schwanz, bis sie vor Schmerzen aufjaulte.
    Mit starrem Blick und entblößten Lefzen hockte sie sich noch einmal hin und versuchte es, schabte an dem Plastik herum, und plötzlich – platzte es an einer Seite auf, wie die Haut einer von Gärstoffen angeschwollenen toten Maus. Uljana fuhr mit ihrer Pfote in den Riss und vergrößerte, verbreiterte ihn, sie schaffte es sogar, ein großes Plastikstück aus dem Trichter herauszutrennen, das nun vor ihr auf dem Boden lag und tot war.
    Aufgeregt lief sie ein paar Mal im Kreis, sie musste sich beherrschen, ihren Schweif, der jetzt wild hin und her wedelte, nicht vor Freude zu attackieren.
    Sie ging ein paar tänzelnde Schritte, es fühlte sich alles viel leichter an.
    –
Ja
, dachte sie und bellte.
    Glücklich badete sie ihre Schnauze in dem dichten Geruchskranz, der eine Litfaßsäule umgab.
    Sie hörte ein dünnes Quietschen.
    Eine Tür, klein wie eine Ofentür, öffnete sich in der Litfaßsäule.

Zur Frage der Erreichbarkeit
    Hier spricht die Stimme von Alexander Kerfuchs – mehr ist im Augenblick nicht von ihm erreichbar. Bitte hinterlassen Sie ihm eine Nachricht gleich nach dem Tinnitus
.
    – …llo? Hallo Alex, hier ist Ly. Lydia. Du, ich … ich versuch dich die ganze Zeit schon zu erreichen, ich muss dir was wirklich Wichtiges sagen, aber ich erreich dich nicht und ich war gerade bei dir zuhause und du hast nicht aufgemacht, also frage ich mich jetzt natürlich, wo … ja, wo versteckst du dich, haha (
ein gepresstes, nervöses Lachen
) … ja, jedenfalls, ruf mich bitte, bittebitte an, sobald du die Nachricht hörst, es ist wirklich wichtig … okay … also dann …
    Sie haben. Keine weiteren Nachrichten. Sie haben (rhetorische Pause) eine alte Nachricht. Drücken Sie jetzt

    Ich lege auf. Die Nachricht ist von gestern Abend. Keine Anrufe während der Nacht. So wichtig wird es schon nicht gewesen sein.
    Hallo Alex? Bist du da? Esse percipi. Gibt es dich?
    Heute Früh nach dem Aufstehen ist mir meine rechte Hand eingeschlafen, und ich habe die Gelegenheit genutzt und mir in die Daumenwurzel gebissen. Der Schmerz ist fast komisch, unentschlossen und weich, so als wollte man einem Kind mit sanften Stromstößen erklären, was Schmerzen sind.
    Da es fürs Krankenhaus noch zu früh ist, lenke ich mich mit albernen Videos im Internet ab. Die Diskussion um das Omensetter-Video wird immer noch geführt. Die vorherrschende Meinung ist, dass der einzige Fehler des Videos der ist, dass es gar keine gestellte Szene ist. Idioten. In der Sparte
New Videos
gibt es ein paar Einträge:
Man commits suicide with Mentos + Soda
. Lächerlich.
Woman beated to death with metal steel
. Langweilig, außerdem grammatikalisch inkorrekt.
Suicide with knife
. Gab’s schon hundertmal. Das Projekt wird langsam eintönig und fad.
    Ich bemerke, dass meine Hand, die die Mouse umklammert hält, zittert.
    Warum?
    Ah, natürlich, die eingeschlafene rechte Seite. Milder Vorgeschmack auf einen Schlaganfall. Und ich schwitze wie wahnsinnig. Auf dem Weg ins Bad ziehe ich mein Hemd aus und werfe es in eine Ecke, aber es segelt direkt in einen Blumentopf. Das kalte Wasser verleiht meiner rechten Hand elektrische Aalhaut.
    Nach einem spartanischen Frühstück gehe ich ins Krankenhaus. Die automatischen Flügeltüren kennen mich bereits und machen mir pietätvoll den Weg frei.
    Nach dem Besuch bei Valerie, die immer noch mit geschlossenen Augen in ihrem Bett liegt und so tut, als wäre sie gar nicht da, nehme ich

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