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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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nur ein sinnloses Durcheinander von Tönen, Buchstaben und Farben sind. Aber sie würden es trotzdem nicht wagen, sie zu verheizen oder kaputt zu machen, denn natürlich hat man rechtzeitig, schon vor Jahrzehnten, eine Kommission gegründet zur Rettung der Kultur, um den zurückgebliebenen Kindern der Zukunft eine irrationale Ehrfurcht vor Büchern, Gebäuden und antiken Musikinstrumenten einzuimpfen. Also werden diese armen Kinder schon von früh auf gedrillt, zu klatschen und sich vor allem Möglichen zu verneigen, dann lobt man sie und schickt sie zurück in ihre Sandkisten, wo sie sich unentwegt miteinander paaren. Okay. Ich hör schon auf. Nein, ich hab nichts gegen Kinder. Nein. Das ist lang her. Wie meinst du? Wie … Eine Einschlafgeschichte? Also, ich weiß nicht … Okay, okay. Warte. Mir fällt schon was ein. Ja. Also. Mann trifft Frau spätabends zu Kinobesuch. Kein Telegrammstil? Okay. Also, sie sehen sich einen alten Schwarzweiß-Film an, der in einem Grazer Kunstkino gezeigt wird. Du weißt schon, die Sorte Kino, die es bald nicht mehr geben wird, weil niemand mehr … Genau, du sagst es. Also, der Kinosaal ist winzig klein. Und als der Film beginnen soll, erscheint nichts als ein weißes Quadrat. Einige Minuten schauen sie auf das leere Bild, dann entscheiden sie, dass der Projektor oder sonst was kaputt sein muss, und wollen den Kinosaal verlassen. Aber die Tür ist versperrt. Also tappen sie durch den düsteren, gespenstisch von dem weißen Lichtquadrat der Leinwand erhellten Raum und versuchen, einen Notausgang zu finden, aber es gibt keinen. Szenenwechsel: Dienachmittägliche Stadt ist ausgestorben, die Ampeln erloschen, das einzige, was sich bewegt, sind emporzüngelnde Flammen, die niemand bekämpft. Der Schlossberg ist in schwarzen Rauch gehüllt. Der Himmel ist zersprungenes Porzellan, und aus einem Loch in einer Mauer sprudelt etwas milchig Weißes, sprudelt und sprudelt, bildet einen kleinen See. Kameraschwenk. Irgendwo … unter freiem Himmel … im Stadtpark liegen Dinge verstreut, Müll, weiße Papierfetzen wie Perücken von alten Frauen, wenn man sie in Stücke reißt. Die Perücken, nicht die Frauen. Eigenbrötlerische Krähen stapfen herum und besprechen die Lage. Das Pärchen im Kinosaal streitet sich unterdessen vor seinem absurden Altar immer noch um die Frage, wer von ihnen beiden diese dumme Idee gehabt hat, ausgerechnet heute Abend diesen Film anzusehen. Langer, sehr langer Streit. Abblende.
Credits
. Du weißt schon,
Directed by
… Nicht gut? Okay, dann vielleicht eine Geschichte mit Happy End, vielleicht eine Art Parabel. Warte. Ich …
    Im Schatten einer alten Kirche blieb ich stehen. Der Wind war hier fast nicht mehr zu spüren. Wie eine gigantische Schachfigur ragte der Kirchturm in den Himmel.
    – Also, ein Mann nimmt Tabletten gegen seine Kopfschmerzen. Keine normalen Kopfschmerzen, sondern ganz fürchterliche, Kopfschmerzen aus der Hölle. Die Pillen wirken recht gut. Aber als sie an Wirkung nachlassen, versucht er die Dosis zu erhöhen. Es funktioniert eine Zeitlang und alles ist gut, aber schon nach einer Woche werden die Kopfschmerzen wieder unerträglich und rauben ihm den Schlaf. Er konsultiert einen Arzt, der ihm, nach langem Hin und Her, die stärksten Tabletten verschreibt, die es gibt. Sie wirken Wunder. Ein halbes Jahr kommt der Mann aus, ohne die Dosis zu steigern. Aber dann ist auch dieses letzte Mittel verbraucht. Verzweifelt liegt ernächtelang wach und fühlt den bohrenden Schmerz in seinem Kopf. Ein Engel besucht ihn und bietet an, ihm zu helfen. Aber selbst die weiß leuchtenden Fingerspitzen des Engels können den entsetzlichen Schmerz nicht lindern. Schließlich nimmt der Engel den Mann mit in den Weltraum, eine Ansammlung von blinkenden Kugeln und schwarzen Zwischenräumen. Hie und da tanzt ein kleiner Komet vorbei, wie ein brennender Hahn. Der Engel massiert dem Mann den Kopf, entwöhnt ihn der Welt der quälenden Erinnerungen, der Panikattacken, aber nichts hilft. Der Mann krümmt sich in der Schwerelosigkeit vor Schmerzen und bringt es mit erstickter Stimme gerade noch fertig, dem Engel für seine sinnlosen Bemühungen zu danken. Der Engel bringt ihn zurück auf die Erde. Der Mann weint und weint über sein Unglück. Er schläft völlig entkräftet in der Badewanne ein und taucht kurz unter. Am nächsten Morgen findet man ihn ertrunken. Aber mit einem glücklichen Gesichtsausdruck. Er hat entdeckt, dass er unter Wasser keine Schmerzen hat, und

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