Die Frequenzen
der erste berühmte Gelehrte, der über L. geschrieben hat, ist Johannes Kepler, in seiner 1630 veröffentlichten Schrift
Somnium, seu
Opus Posthumum
de Astronomia Lunari
, in welcher er von einer Reise zum Mond erzählt und eine detailgenaue Beschreibung der Mondbewohner gibt. Kepler erwähnt darin die Bewohner von L. nur indirekt, im Zuge einer generellen Charakterisierung der Mondbewohner, und er verteilt spezielle Verhaltensweisen auf mehrere Wesen. Vielen Interpreten zufolge erscheinen die Mondbewohner so weniger menschlich, als sie es verdienen. Bereits in einer früheren Schrift (
Tertius interveniens
, 1610)spielte Kepler auf einen osteuropäischen Landstrich an, wo die Leute im Winter aussterben (weil die Sonne vom Himmel verschwindet) und im Frühling wieder auferstehen, wie Frösche, die aus der Winterstarre im Sumpf zurückkehren. Kepler bezog sein Wissen vor allem aus den Reiseschilderungen eines Jesuiten namens Rio, der folgende ergreifende Darstellung des jahreszeitlich bedingten Sterbens gab:
Der Tote lag aufgebahrt in seiner Kammer zwischen Fleisch und Gemüse. In ihrer großen Trauer hatten alle Mädchen des Dorfes ihm kleine Briefe mit in den Sarg gelegt. Die meisten davon waren Entschuldigungsbriefe, denn der Verstorbene hasste jegliches Ritual, das seinetwegen veranstaltet wurde, so auch das christliche Bestattungsritual. Wenn er im Frühjahr erwacht, sagten die Mädchen, wird er uns bestimmt verzeihen, und einen Winter lang ertragen wir unsere Schuld. Diese Mädchen galten in ihrem Dorf aufgrund ihrer Haltung als besonders verschwenderisch und man duldete sie nur mehr über den Winter, dann trieb man sie unter Schlägen hinaus in die Wälder, wo sie bis heute unruhig umherstreifen, betteln und einsame Wanderer mit Flüchen belegen
.
Weitere Berichte über L., die mit größter Wahrscheinlichkeit die Quelle für Rios Schrift waren, finden sich bei einem vornehmen Bürger des sechzehnten Jahrhunderts, Sigmund von Herberstein. Dieser traf in
Graz
auf Johannes Kepler, der in der österreichischen Kleinstadt Teile seiner wichtigsten astronomischen Werke verfasste und damit bekanntlich die Naturwissenschaften nachhaltig veränderte. Es ist möglich, dass die Erwähnung der ungewöhnlichen Geschichte über L. als eine Art von Gefallen anzusehen ist, eine nette Geste, die der sonst so kritische und scharfsinnige Astronom dem wunderlichen Baron von Herberstein erwies.
Das reparierte Uhrwerk
Ich habe aufgehört mich zu rasieren. Über Ober- und Unterlippe haben sich schwarze Zügel gelegt, das Kinn ist verschwunden, nur die Wangen sind größtenteils frei. Ihre Behaarung gleicht jener kleinen Stelle zwischen meinen Augenbrauen, die zwar stetig zueinander streben, sich aber nie wirklich berühren, es sei denn, ich blicke böse in den Spiegel.
Meine Mutter wird schimpfen, wenn sie meinen Bart sieht. Sie wird sagen,
Das passt nicht zu dir
und dass ich mich nicht so gehen lassen darf, obwohl sie gar nicht weiß, was inzwischen alles passiert ist. Dann wird sie natürlich fragen, warum ich mich denn so gehen lasse. Ich werde nur auf ihre Fragen antworten müssen; vorher werde ich mich allerdings noch betrinken. Einfach so, um den Schmerz zu steigern, bis er so stark ist, dass er sich von mir abschält, wie die Haut nach einem Sonnenbrand.
Inzwischen geht es meiner Mutter wieder besser. Lange hat sie irgendwelche Mittel genommen, die ihr Gedächtnis geschwächt haben.
Valerie
: Nimmt sie Benzodiazepine?
Ich
: Äh, ja, ich glaube … Auf jeden Fall wird sie davon immer vergesslicher.
Valerie
: Ah, ganz schlecht! Das ist ungefähr so, als würde man versuchen, ein Uhrwerk mit einem Presslufthammer zu reparieren.
Kurz nachdem ich mein Studium abgebrochen und die Arbeit im Heim angenommen hatte, da das Geld knapp zu werden begann, lief meine Mutter das erste Mal fort. Eines Morgens stieg ich die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf, die Steinstufen wurden flacher, je höher man kam, und dawar die Wohnungstür, groß und braun, aber etwas an ihr war nicht wie immer. Sie stand offen.
Einbruch!
Ich rannte in die Wohnung – links, niemand, rechts.
– Hallo?
Ich rief nach meiner Mutter, ohne ihren Namen zu nennen, da ich kein Fremder war, keiner der Fremden, die vor kurzem noch hier gewesen waren (Skimasken, Baseballschläger). Ich rannte in alle Zimmer, ohne die Schuhe auszuziehen, das war immerhin ein Notfall, also sprang ich über die Teppiche und rief:
– Hallo? Hallo-oh!
Aber niemand war da, leere
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