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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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das?
    – Oh ja! Und das Dankbillet!
    Sie schwankt kurz aus dem Bild, fängt sich und taucht wieder im Türspalt auf.
    – Gut. Äh … Danke für den Kuchen. Das war sehr freundlich. Aber ich muss jetzt leider gehen, wie Sie sehen. Also … Gerald kann ja morgen wieder –
    – Aber ich bekomme Besuch, sagt sie mit etwas veränderter Stimme.
    Gerald sagt diese Stimme offenbar mehr als mir, denn er sieht zu mir auf, als wollte er sagen:
Nicht weiterreden, bitte. Mama hat Kopfweh
.
    – Herrgott, was zum Teufel ist mit Ihnen los?, fahre ichsie an und erreiche damit, dass der Türspalt sich wieder öffnet und ein Gesicht von hellroter und entsetzt nach Luft schnappender Empörung zeigt.
    Noch bevor sie etwas sagen kann, stoße ich die Frau im Bademantel zurück in ihre Wohnung, sodass sie auf ihren Hintern plumpst, und ziehe, da mir zum Abschluss nichts Besseres einfällt, die Tür von außen zu. Der Erntedankkranz hebt sich kurz, wie ein Türklopfer.
    Ich gehe an Gerald vorbei und laufe die Treppe hinunter. Er steht oben und schaut mir nach, hin und her gerissen, unentschlossen wie ein Fahrstuhl, der zwischen zwei Stockwerken festklemmt.
    – Na, komm schon, sage ich und klopfe mir mit der flachen Hand auf die Knie, als wollte ich eine scheue Katze anlocken.
    Er schaut noch einmal auf die Wohnungstür, die sich nicht mehr geöffnet hat – auch mir fällt das jetzt auf –, und folgt mir. Seine Schritte beschleunigen sich. Das Eis in seiner Hand ist geschmolzen. Ich reiche ihm ein Taschentuch.
    – Mein Gott, was für ein Tag, sage ich. Schau, da oben ist der Mond noch zu sehen, dabei ist es längst hell.
    Gerald blickt in den Himmel. Die bleiche Scheibe ertrinkt dort oben im Blau, an manchen Stellen ist sie schon ganz aufgelöst und durchscheinend. Die trockenen Meere der Mondoberfläche stehen unter Wasser.
    – Hast du gewusst, frage ich ihn, dass sie die Krater dort oben Meere nennen? Aber an einem Tag wie heute schaut man besser nicht in den Himmel. Der Himmel lenkt nur ab. An so einem Tag kann wirklich alles passieren. Wahrscheinlich gibt es eine riesige Warteschlange vor der Bushaltestelle, wo wir anstehen müssen, und wir fragen uns:
Woher kommen diese vielen Menschen
? Natürlich wollen sie alle zur Hochzeit, denn es ist ein warmer Herbsttag, und da macht das einen Riesenspaß. Ja, es geht nichts über Hochzeiten, die bei warmem Wetter im Freien stattfinden werden. Schau nicht so überrascht, ich denke nur laut. Und natürlich ist uns das Stehen in der Warteschlange unangenehm, weil man überhaupt nichts tun kann, um es erträglicher zu machen. Inaktivität ist eine notwendige Bedingung, damit ein Zustand
Warten
genannt werden kann, und es gibt auch keinen Schutzheiligen der Warteschlangen, zu dem man ein stolzes Gebet emporschicken könnte. Nein, man kann niemanden anrufen, wenn man in der Endlosschleife einer Telefonseelsorge-Hotline feststeckt oder wenn die Zeit in einem Krankenhauskorridor auf einmal stehen bleibt und sich nicht einmal mehr eine Fliege über die immer gleichen Fensterscheiben bewegt. Warte einen Moment, bleib stehen. Dein Kragen ist ganz schief, lass mich … Niemand ist da, dem man den Wahnsinn anvertrauen könnte, der leise in einem aufsteigt, kennst du das Gefühl? Unter den Tausenden Heiligen, die es auf Erden gibt, ist keiner, der diesen Job übernehmen will.
Warteschlange
gehört nämlich nicht zu den anerkannten Formen von Leid und Erniedrigung, eine Warteschlange hat immer etwas von einem Experiment, etwas Nacktes, Primitives, Abgedecktes. Es wäre nichts Besonderes, wenn man sich einfach in die Hose machen würde. Lach nicht, das ist gar nicht witzig.
Natürlich
, würden dann die Leute sagen und sich gleichzeitig die Nase zuhalten,
er kann nicht anders, er muss ja seinen Platz in der Schlange behalten!
Nein, es gibt wirklich keine Spielregeln in einer Warteschlange, von der Reihenfolge abgesehen: Ameisen haben sie erfunden. Und wir vergessen irgendwann auch, warum wir anstehen. Es spielt keine Rolle, sage ich zu dir,obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt. Ein paar Meter hinter mir wartet eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, die um ihr Leben schreien. Und direkt vor mir steht – breiter Rücken, glänzender, verschwitzter Nacken – ein abgeschminkter Clown, der mir seinen freundlichen, verschwitzten Ochsennacken anbietet. Die empfindlichste Stelle. Und wir stellen plötzlich fest, dass alle sich über irgendwas freuen, ja, alle Menschen sind fröhlich und füllen sich die

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