Die Frequenzen
dem iPod dreimal hintereinander
Nessun Dorma
an, die großartige Arie aus
Turandot
.
Bei dem atemberaubenden
Tramontaaaate, stelle
! stehe ich energisch auf, und –
All’alba viiincerò!
– das T-Shirt bleibt auf meinem nackten verschwitzten Hintern kleben, überlegt es sich aber gleich wieder anders und fällt ab –
Vinceeeeerò!
– Hallo!
Ich wirble herum, verstecke mich schnell hinter einer Menge Bettzeug.
– Gott! Gerald, ich hab dir doch gesagt –
– Alex?
– Ja?
– Bist du da drin?
– Komm nicht rein!
– Warum, bist du nackt?
– Blödsinn.
Ich kann nicht anders und grinse. Gerald merkt es und wiehert los. Ich ziehe mich schnell an und gehe zu ihm. Er hält sich ein Eis, das vermutlich aus meinem Kühlschrank stammt, wie ein Mikrofon vors Gesicht.
– Aber jetzt im Ernst, sage ich. In Zukunft klopfst du an. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt, oder?
– Okay.
Gerald geht aus dem Zimmer. Ich höre ihn in meiner Küche kramen.
– Gerald, hör mal her. Ich hab heute keine Zeit.
Seine Augen werden sofort groß und ernst.
– Ich meine, du kannst gern vorbeischauen und so. Wenn bei dir niemand zuhause ist. Ich hab deine Mutter gefragt und sie hat gesagt, dass es ihr … ich meine, sie hat nichts dagegen.
Fast hätte ich gesagt, dass seiner Mutter alles egal ist, dass sie nur froh ist, wenn sie gerade im Türrahmen stehen kann, wenn ein attraktiver junger Nachbar mit ihr spricht.
– Ich gehe heute auf eine Hochzeit, sage ich. Sorry.
– Du gehst auf eine Hochzeit? Wie alt bist du denn?
– Nur als Gast, sage ich. Ich bin eingeladen.
– Und wer heiratet?
– Ach, bloß ein Bekannter.
Die einzige Antwort darauf wäre:
Feigling
. Stattdessen sagt Gerald:
– Weißt du was?
– Was?
– Du hast kein Eis mehr. Das ist das letzte.
– Das ist mein geringstes Problem, sage ich. Ich muss jetzt gehen.
– Jetzt? Es ist doch Vormittag! Wer heiratet denn um diese Zeit?
– Hast du geglaubt, Hochzeiten finden nur am Abend statt, in einer dämmrigen Kirche?
Ich zumindest habe es mir so vorgestellt, aber das sage ich Gerald nicht.
– Was weiß ich, sagt er. Alex?
– Ja?
– Ach, gar nichts.
Er lutscht an seinem Eis, dann beißt er mit den Schneidezähnen die Schokoladenspitze ab, sodass allein schon das Zusehen einen Kälteschock verursacht. Aber er hält sich tapfer. Nur die Augenbrauen verraten, dass seinen Zähnen kalt geworden ist.
Ich stehe vom Tisch auf.
– Ich bring dich dann besser runter, sage ich.
– Kann ich nicht einfach hier bleiben?, fragt er
– Nein, ich … nein, das geht nicht.
– Aber du kannst mich ruhig einsperren. Das macht mir schon lange nichts mehr aus.
Dazu der tragische Blick eines Hundes, der genau weiß, was ihm beim Tierarzt bevorsteht. Unter anderen Umständen hätte ich ihn vielleicht bleiben lassen.
– Leider.
Er steht auf und folgt mir ins Vorzimmer. In seine Schuhe steigt er hinein, als wären es Pfützen, sie sind ihm ein paar Nummern zu groß. Fast schon Erwachsenenschuhe. Es tut mir natürlich leid, ihn zu seiner Mutter zurück zu bringen, die zu dieser Tageszeit wahrscheinlich längst Eugene-O’Neill-Rollen probt. Lange alkoholisierte Streitgespräche mit der Zimmerdecke und dem Schicksal.
Wir gehen die Treppe hinunter in den zweiten Stock, und ich läute an der Wohnungstür, an der tagein, tagaus ein alberner Erntedank- oder Weihnachtskranz hängt. Lange Zeit passiert nichts. Die Tür behauptet, sie würde J. KATZEK heißen. Dann Schritte, gedämpft. Bitte, lass sie einen kleinen, giftgrünen Cocktail in der Hand halten. Die Tür öffnet sich einen Spalt, und ein misstrauisches Gesicht erscheint, erkennt mich einigermaßen, braucht noch ein, zwei Sekunden, kann mich dann endlich richtigeinordnen, ah ja, der Mann, der
manchmal
auf ihren Sohn aufpasst. Schwanken. Lächeln. Blauer Bademantel.
– Ja?, sagt sie und füllt den Türspalt mit ihrer Schulter.
– Hallo, sage ich, ich hab mich gefragt, ob Sie eventuell kurz auf Ihren Sohn aufpassen könnten. Ich habe da nämlich einen Termin, ich …
Ihr Kopf dreht sich und sieht zurück in die Wohnung.
– Jetzt?, fragt sie.
Wie?
– Was meinen Sie mit
Jetzt
?
– Ob Sie meinen, Sie haben
jetzt
einen Termin, oder …
– Ja, jetzt. Ich kann Gerald heute nicht –
Wieder drückt sie die Schulter in den Türspalt.
– Aber ich habe Ihnen doch letzte Woche den Kuchen vor die Tür gestellt, sagt sie.
– Wie bitte?
– Den Ku-chen, buchstabiert sie mir.
– Sie waren
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