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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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ihn anzieht oder nicht, wenn er nur ein Stockwerk nach unten gehen muss.

Messerschmidt macht sich auf den Weg
    Uljana stand vor dem schlotternden Baugerüst. Sie hatte den Weg gefunden. Stolz schnupperte sie an ihren eigenen Pfoten.
    Aber die Luft war voller Angst: winzige Russpartikel und Glassplitter, die sie im Rachen und in den Augen reizten.
    Mitsuko war außer sich. Sie trommelte mit ihren Fingern einen diabolisch vertrackten Rhythmus auf das Metallgestell des Bettes, während sie in den Telefonhörer sprach.
    Aber heute lief alles schief.
    Sie vertauschte wichtige Verben, weil sie ähnlich klangen, und setzte Silben an die falsche Stelle. Der Mann am anderen Ende war ein geduldiger Notrufroboter, der eine Frage, die Mitsuko nicht richtig beantwortet hatte, bis zu fünf Mal ruhig und deutlich wiederholen konnte. Er hatte eine tiefe Stimme, die so beruhigend klang, dass man davon ganz nervös wurde.
    Messerschmidt atmete so kraftlos und sanft, als wollte er damit eine Uhr anhalten. Eine Vision hatte ihn aufgeschreckt und aus der alten Wohnung gescheucht: Ein Landfriedhof mit betrunken über die Erde wankenden Grabsteinen. Feuer im Himmel. Eine rot glühende Sonnenexplosion. Menschen in schwarzen Rabenkleidern. Von ihren Schultern rann geschmolzenes Fett wie Regenwasser. Eine Familienzusammenkunft, dunkel und schwer von Trauer. Der Ort, wo sie alle hinkamen, oft besucht als Kind …
    Der einzige Zeuge.
    Messerschmidt riss sich los. Er fand sich in der neuen Wohnung wieder. Niemand war da.
    Dann war er auf der Straße, auf dem Bild seiner Straße. Und er entdeckte die Hündin, die im Augenblick, da Messerschmidt sie ansah, den Kopf hob. Messerschmidt bemerkte, dass das Tier stumm darum bettelte, von ihm erkannt zu werden. Und für einen Augenblick erschien das auch ganz vernünftig. Warum nur? Messerschmidt sah die seltsame Form, die der Kopf des Hundes hatte, und alles drängte dazu hin, vertraut zu sein. Aber das erwartete Déjà-vu stellte sich nur zum Teil ein. Messerschmidt zögerte.
    Bruchstücke des Trichters um den Hals der Hündin.
    Gerade als er sich wieder in die Wohnung zurückziehen wollte, spürte er einen unwiderstehlichen Sog aus der Trichteröffnung.
    Messerschmidt wehrte sich nicht.
    Endlich hatte Mitsuko es geschafft, dem Mann am anderen Ende zu erklären, was passiert war. Der sagte ihr daraufhin, dass bereits ein Rettungswagen zu ihr unterwegs sei. Wenn sie ihm allerdings bitte noch einmal ihren Nachnamen buchstabieren könnte, nur zur Sicherheit, er sei sich nämlich nicht sicher, ob er alles richtig mitbekommen habe. Wie lange sei sie übrigens schon in Österreich?
    Mitsuko schlug mit ihrer kräftigen Schlagzeugerfaust gegen die Wand. Das Adrenalin linderte den Schmerz. Sie schnaufte und wiederholte ihren komplizierten Nachnamen, dabei war er nichts gegen die Konsonantengewitter, die man in diesem Land oft kommentarlos vorgesetzt bekam.
    Es war peinlich, sehr peinlich, aber es war passiert, noch bevor er sich dazu hatte entschließen können: Die Hündin riss ihn mit sich, denn er hatte sich in ihr verheddert, so wie Valerie in ihrer Armbanduhr, natürlich, das passierte so leicht und man konnte es in keinem Fall verhindern, es war immer dasselbe mit bedeutungsvollen Gegenständen, und diese Hündin, er erinnerte sich auch an ihren Namen, obwohl Namen längst nichts mehr bedeuteten, Uljana, sie hieß Uljana, und ihr Hinterteil wackelte vor ihm her, und er wurde mitgeschleift wie Blechbüchsen am Schweif einer Katze oder am Auto eines frisch vermählten Paares. Er musste ihr folgen, ihm blieb nichts anderes übrig. Uljana wusste offenbar, wohin es ging. Messerschmidt selbst hatte einen Verdacht, aber er konnte sich nicht überwinden, diesen Verdacht in Worte zu kleiden.
    Die Leute auf der Straße wichen dem eilig voranschreitenden Tier aus, manche schimpften, andere beugten sich wie Sonnenblumen zu ihm herab und winselten etwas Vertrauliches. Messerschmidt überließ sich der angenehmen Illusion, dass die Menschen sich seinetwegen auf die Seite bewegten oder zu geheimnisvollen Äußerungen verleiten ließen.
    Sie gingen durch eine Allee, und die Hündin blieb kurz an einer der Litfaßsäulen stehen, um das Bein zu heben, was Messerschmidt sonderbar berührte, und lief dann eilig weiter.
    Messerschmidt spürte, wie er zu flackern begann, es war ein eigenartiges Gefühl, als wäre er ein Papierdrachen, als würde der unbändige Wind höherer Luftschichten mit ihm spielen. Er wusste, dass er

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