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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Gegenzug die Bücher von Dennis Cooper. Dann verabschiedete er sich in großer Eile, was allerdings hoffnungslos einstudiert wirkte.
    – Warte, können wir vielleicht unsere Nummern austauschen?, fragte Walter. Nur für den Fall …
    Joachim drehte sich im Gehen um, und sein Gesicht schien zu überlegen, ob es der Entscheidung, die der Rest seines Körpers längst gefällt hatte, folgen würde.
    – Null Sechs Sechs Vier, begann er.
    Walter tippte die Nummer blind ein und blickte Joachim dabei streng in die Augen, damit dieser nicht plötzlich zu sprechen aufhörte.
    Walter besorgte sich die Bücher von Dennis Cooper und begann sie zu lesen, war aber von den Gewalt- und Mordfantasien, in denen sich der Autor ständig verlor, so abgestoßen, dass er damit aufhören musste. Dann nahmer eines der Bücher spätnachts, als er aufs Klo ging, wieder zur Hand und fand sich zu seiner großen Überraschung in ein vor Rührung heulendes Häufchen Elend verwandelt.
    Er rief Joachim mitten in der Nacht an und dankte ihm überschwänglich für den Tipp. Dann entschuldigte er sich dafür, ihn aufgeweckt zu haben.
    – Schon okay, sagte Joachim.
    Mit kuschelig-schlaftrunkener Stimme lud er Walter zu sich ein. Die Tür stehe immer offen, sagte er mit einem intimen Seufzer, er besitze ja kaum etwas von Wert, außer einem Kopf voller unbrauchbarer Phantasien.
    Unter einem glühenden Deckenlampion saßen sie in Joachims Küche, tranken Wein und sprachen wieder von Literatur, zuerst von berühmten Vorbildern, dann von Joachims eigenen Schreibversuchen.
    – Shakespeare ist ein Dichter, mit dem man quasi immer per Sie bleibt, sagte Joachim. Mit anderen Autoren ist man gleich von Anfang an per Du. Kennst du Dave Eggers?
    Walter schüttelte den Kopf und bat ihn, davon zu erzählen. Aber Joachim hatte den Faden verloren und erzählte ihm stattdessen von einem Literaturpreis, den er vor elf Jahren bekommen hatte, für sein erstes Buch, das den sonderbaren Titel
Das Tschechow’sche Wandgewehr geht von selbst los
trug und inzwischen vergriffen war.
    – Weißt du, sagte Joachim, die Sache ist, ich erhole mich gerade von einer sehr, sehr schweren Zeit. Ich habe mich lange wie ein Misanthrop benommen, der heimlich in die ganze Menschheit verliebt ist und alle vor dem Untergang retten will.
    Er zog sein Reclam-gelbes Hemd mit einer einzigen Bewegung seines kräftigen, aber auch etwas aufgedunsenen Oberkörpers aus, sodass sich zwei Knöpfe unterdem Druck schnell von selbst öffneten, um nicht geköpft zu werden. Er wischte sich sein verschwitztes Gesicht mit dem Hemd ab, dann sprach er weiter:
    – Der Roman, der diese Zeit beschreibt und gewissermaßen eine … eine Aufarbeitung davon ist, ist schon in Planung. Er muss nur noch geschrieben werden, dann dürfte sich alles wieder zum Guten wenden. Einigermaßen.
    Der Sessel, auf dem er saß, knarrte zustimmend.
    Walter brauchte viel Höflichkeit, um Joachims nervöse Kennenlern-Monologe zu ertragen. Aber er fühlte sich auch hingezogen zu diesem unsicheren, kindlichen Mann, der vor lauter ununterdrückbarem Künstlertum das Wort
Misanthrop
wie
mise-en-scène
aussprach und sich am liebsten von aller Welt nur mit seinem Nachnamen anreden ließ, der vielleicht ein Pseudonym war: Hutmek.
    Ihre Beziehung war sehr kurz, denn obwohl sie sogar zusammen wohnten, trennte sich Walter bald wieder von Joachim, als dieser immer mehr dem Alkohol und der verbalen Selbstgeißelung verfiel. Als Schriftsteller war er seit langem in jenem gefährlichen Zustand der Arbeitsunfähigkeit angelangt, der von den Worten
Ich brauche nur eine gute Idee dann wird sich alles weitere schon ergeben nur eine einzige gute Idee bitte
erfüllt ist wie der Kopf eines wahnsinnigen Priesters von immerwährendem Glockengeläut. Er verbrachte seine Tage damit, dass er vor dem Bildschirm saß und das Layout seiner Textverarbeitung veränderte, im Internet spezielle Schriftarten suchte, die seinem Auge am angenehmsten erschienen, und einsame, von keinem gesunden Menschen je einholbare Minesweeper-Rekorde aufstellte. Als Joachim Walter eines Abends eröffnete, dass er gedächte, in ein anderes Land zu ziehen, in eine anregende, literarisch hochwertige Großstadt, natürlich nur für kurze Zeit, nur so lange, bisdie ärgsten Hemmschwellen überwunden waren, wartete Walter, bis die unsichtbare Zündschnur in seinem Inneren abgebrannt war, und fragte dann, an welche Stadt er denn dabei gedacht habe, obwohl er die Antwort längst

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