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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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kleiner, verschwand in einer Kurve. Wir rollten über die Straße, in unserem VW, den der Mann am Fenster gesehen hatte, ohne ihn zu registrieren, und aus irgendeinem Grund wünschte ich mir plötzlich nichts sehnlicher, als ihn zu kennen. Oder für einen Augenblick er zu sein: unabhängig, alt, mit einem schwarzen Hut.

Die Namen
    Genau genommen war das Gespräch zwischen ihm und Joachim gar keines über Schauspielerei gewesen, doch Walter schien es hinterher trotzdem so. Er sah jetzt endlich eine Berufsmöglichkeit, die seine Eltern ihm nicht vorgeschlagen hatten. Dann freilich schlug sein Vater sie ihm tatsächlich vor und Walter reiste schnell wieder ab, nach Hause in die Stadt, in sein Leben, und spielte dort ein halbes Jahr lang Vogel Strauß.
    Als er genug davon hatte, erzählte er allen, die es interessieren musste, von seiner Homosexualität. Es war ein befreiender, großer Moment, der aus lauter kleinen, einengenden und zermalmenden Momenten bestand. Sein Vater hatte sich anfangs ein wenig geziert, Walters sexuelle Orientierung zu akzeptieren, aber bald hatte er zugeben müssen, dass sehr viele berühmte Künstler … durchaus … ziemlich viele, wenn man es genau bedachte sogar eine ganze Menge … jaja … (Letztendlich war Walter heilfroh, dass sein Vater diesen Satz in seinem Beisein nie ganz zu Ende brachte.)
    Seine Mutter hatte größere Schwierigkeiten. Sie rang die Hände und machte sich lautstark Sorgen um die Zukunft der Familie. Walter machte einen Scherz darüber, dass alle guten Dinge irgendwann zu einem Ende kämen. Aber daraufhin wurde sie nur traurig und begann ihn zu beschimpfen. Nachdem sie ihr mütterliches Mantra
Trotz allem ist er trotz allem ist er trotz allem
einige Male still aufgesagt und sich wieder beruhigt hatte, ging Walter ihr einen Schritt entgegen und gestand, dass er keineswegs nur Männer mochte, eben
auch
. Frauen seien im Allgemeinen bloß die schwierigeren Zeitgenossen. Darüberkonnte seine Mutter nun endlich lachen, und Walter hatte es wieder einmal geschafft, genau das zu sagen, was sein Gesprächspartner in dem Augenblick hören wollte.
Citroën du Monde
, dachte er sarkastisch.
    – Dummer Bub, sagte seine Mutter sanft und berührte seine Schulter, ohne ihn dabei anzusehen.
    Über diese Berührung war Walter einigermaßen entsetzt und er entfernte sich.
    Seine Mutter blieb im abgedunkelten Zimmer sitzen. Mit gefalteten Händen beschloss sie, dass sich in den letzten zehn Minuten nichts geändert hatte, obwohl sich natürlich alles geändert hatte, und als sie sich bei dem tröstenden Gedanken ertappte, es gebe ja noch Mirja, die, so Gott wollte, für den Fortbestand des Zmalschen Erbguts sorgen konnte, tadelte sie sich selbst für ihre kindische Charakterschwäche. Sie fasste neuen Mut und ging die Fasane füttern.
    Doch am Abend dachte sie plötzlich daran, wie Walter einst als alter Mann durch das Haus der Familie gehen und nacheinander die Lichter in allen Zimmern auslöschen würde. Und niemand wäre mehr da, nur noch er. Ganz allein. Gegen diese Vorstellung half kein Selbsttadel mehr und sie weinte.
    Walter hatte Joachim auf die übliche Art kennen gelernt. Wie alle Homosexuellen hatte er eine sehr lange Zeit in der quälenden Gewissheit zugebracht, der einzige Mann auf der Welt zu sein, der so empfand, und naturgemäß sprang nach Ablauf dieses Purgatoriums eine Art Sensor an, der ähnlich empfindende Menschen mit einem besonderen Licht umgab und die Idee, sie anzusprechen, als die klügste erscheinen ließ, die man seit langer Zeit gehabt hatte. Schon nach den ersten zwei Minuten wusste Walter, dass Joachimebenfalls schwul war, und er signalisierte mit der Art, wie er die Hände faltete, wenn er etwas Wichtiges sagen wollte, dass Joachim auch wissen durfte, dass er wusste, dass er –
    Nach einer Stunde sprachen sie bereits offen darüber und fühlten sich beschwingt. Joachim allerdings kühlte schnell wieder ab und bestand darauf, dass sein Leben bisher die Hölle gewesen sei. Walter, sehr mutig, legte ihm eine Hand aufs Knie, was Joachim ein wenig aus der Ruhe brachte, und begann von Büchern zu sprechen. Sein Lieblingsautor war Chris Ware.
    – Ein absolutes Genie, sagte er.
    Ben hatte ihm damals in Paris die Bücher von Chris Ware gezeigt, die Bände der
Acme Novelty Library
und den großen Roman
Jimmy Corrigan
. Walter hatte sich sofort in ihn verliebt.
    – Noch nie gehört, sagte Joachim.
    Er räusperte sich, zog die Schultern hoch und empfahl Walter im

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