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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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musste an die Fische denken, zuhause im Aquarium.
    Oder daran, dass es ja keine definitive Trennung gewesen war, sondern nur eine aus Vernunftgründen, eine vorübergehende Maßnahme, die er ergriffen hatte, eingeleitet von einem
Offenen Brief
, eine Auszeit, die man ebenso leicht wieder beenden konnte, mit allen verfügbaren Mitteln, Freunden, einem Gerichtsbeschluss. Mein Gott! Es wurde schon Abend und er hatte Angst. Wie ein kleiner Junge.
    Er machte sich auf den Weg nach Hause.
    Liebe Gabi!
    Ich sehe ja, dass es dir schlecht geht. Nichts kann deine Unzufriedenheit lösen. Ich biete dir nur eine Veränderung an, egal welche, du wählst!
    Geld spielt keine Rolle (wirklich!)
    Absolut keine Rolle, ich will nur, dass es irgendwas für dich geben möge, das dich ein wenig glücklicher stimmt. Wenn das eine Scheidung sein sollte, ein eigenes Zimmer, eine eigene Wohnung in der Stadt, weit weg von mir und dem Kind (ich hoffe, es geht ihm gut!), dann ist es eben das – auch das würde ich akzeptieren, denn ich weiß, dass ICH der Schuldige bin, jawohl, ich weiß, dass ICH es war, der deinem Leben den Stoppel herausgezogen hat, indem ich dich geschwängert habe, indem ich dein Einverständnis,deine freiwillige Liebe ausgenützt habe, indem ich dir immer wieder gesagt habe, du wärst die Einzige für mich, obwohl du mir so oft unter Tränen erklärt hast, dass es das niemals geben kann
.
    Es tut mir aufrichtig leid. Am liebsten möchte ich dir zurufen: Vergib uns, denn wir wissen nicht, was wir tun. Wir wissen nicht, wer wir sind, was wir anrichten, was wir in eurem Leben bedeuten. Wir zerstören euch, dringen in eure Körper ein, spießen euch lachend auf, als wärt ihr irgendeine Leben spendende Frucht, setzen euch fremde Lebewesen in den Bauch, die ihr, in mühsamer monatelanger Selbsthypnose, irgendwann als eure Kinder erkennt – spätestens dann ist alles kaputt
.
    Als Wolfgang zuhause ankam, fiel ihm Gabi nicht um den Hals. Sie fragte ihn auch nicht, wo er gewesen war. Sie saß am Tisch und hielt einen Zettel in der Hand.
    – So wenig bedeute ich dir, sagte sie und hielt das Papier in ihren kraftlos verkrümmten Fingern hoch. So entsetzlich wenig bedeute ich dir?
    Wolfgangs Kopf brauchte ein paar Sekunden, um ihre paradoxe Reaktion zu verarbeiten, dann floh er aus der Küche. Sie stapfte ihm nach, brüllte die Badezimmertür an, hinter der er sich verschanzt hatte, um niemandem wehzutun. Ich bin in der Hölle, sagte er sich leise, während er seinen Kopf unter das wohltuend kalte Wasser hielt, ich bin in der Hölle, was soll ich denn noch tun, was verlangt sie von mir, ich bin doch zurückgekommen, ich bin in der Hölle, in der Hölle –
    – Sprich mit mir!, hämmerte es an die Tür.
    Sie ist erst zufrieden, wenn ich tot bin, das wurde ihm klar, als er sich aufrichtete. Von seinen Stirnfransen lief Wasser, sein Gesicht starrte rot und verletzt in den Spiegel.Sie will Blutrache. Sie will mich tot sehen, gepfählt, bestraft. Sie will mich zerstören.
    – Bitte, bitte, bitte, weinte und schrie sie vor der Tür.
    – Verschwinde, schrie er zurück, verschwinde! Oder ich schneide mir die Pulsadern auf! Hier und jetzt, in der Badewanne!
    Und zum Beweis seiner Entschlossenheit ließ er Wasser einlaufen. Mit angewinkelten Beinen blieb er neben der Badewanne sitzen. Er bemerkte eine Ameise, die über die Bodenfliesen wanderte, dann noch eine und noch eine. Sie hatten Ungeziefer. Da bin ich einmal vier Wochen nicht zuhause und schon, dachte er. Aber der Rest des Satzes verhallte dumpf in seinem Kopf. Er hatte sie im Stich gelassen, allein mit dem Baby. Es war alles seine Schuld. Er verfolgte den Weg der kleinen, schwarzen Punkte. Von dem Gewusel wurde ihm schwindlig. Er würde sich später darum kümmern.
    Nach zehn Minuten traute er sich aus dem Bad. Gabi saß, die Knie eng unter ihr Kinn gepresst, auf dem Fernsehsessel und schaukelte sich. Auf seine reuevolle Anrede reagierte sie nicht. Von ihren Mundwinkeln lief Spucke.
    Er rüttelte sie, flüsterte:
    – Mein Gott, was machst du mit mir! Was zum Teufel machst du mit mir!
    Aber ihr Blick blieb starr. Ihr Atem ging so schnell wie der einer Feldmaus.
    Wenig später telefonierte er mit dem Notarzt, der auf einen epileptischen Anfall tippte. Aber Wolfgang wusste, dass es das nicht war.
    Sie würde wieder in Ordnung kommen, hieß es. Nach einer Schwangerschaft war alles möglich. Man musste einfach abwarten.
    Gabi schien das irgendwie einzuleuchten.
    Wolfgang entschuldigte

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